Basel, Universitätsbibliothek, B IV 26
Creative Commons License

Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 456 f., Nr. 122.

Handschriftentitel: Homiliar
Entstehungsort: St. Gallen
Entstehungszeit: um 915
Katalognummer: 122
Umfang: 114 Bll. + 2 Vor- und 1 Nachsatzbl.
Format: 28,5 x 23 cm
Lagenstruktur: Zumeist Quaternionen: A + B, 16-1 (fol. 1-5), 28 (fol. 6-13) - 88 (fol. 54-61), 98-1 (fol. 62-68), 108 (fol. 69-76) - 118 (fol. 77-84), 126 (fol. 85-90), 138 (fol. 91-98) - 158 (fol. 107-114), C.
Seiteneinrichtung: Schriftspiegel 20,5 x 19 cm, zweispaltig zu 26-27 Zeilen.
Schrift und Hände: Karolingische Minuskel von mehreren Schreibern. Titel und Lektionsdaten in Rustica und Uncialis mit Minium.
Buchschmuck:
  • Zu den hohen Festtagen Initialen in Minium, sonst größere Majuskeln ebenso. Federzeichnungen in brauner bis schwarzer Tinte, teilweise lavierend.
  • Schmuck: fol. 1r In vigilia natalis Dni. Omelia venerabilis Bedae (schwarze Majuskeln). Nativitatem Dni. et Salvatoris (Minium-Minuskeln), 4r In natal. Dni. nri. Ihu. Xpi. Sermo beati Isidori epi. (Minium-Majuskeln). Natalis Dni. dies, 4v Unde sup. sermo b. Leonis papae. S(alvator nr. dilectissimi) (wie 4r), 6r Bild der Geburt Christi: große sarkophagähnliche Steinkrippe mit dem darauf liegenden Wickelkind, links davon der Thron Marias, die sitzend zu Häupten des Kindes mit der Linken akklamiert, die Rechte verhüllt vor der Brust hält, rechts vor der Krippe der Thron Josephs, auf dem er fast frontal sitzt, gekleidet in Tunika und Chlamys, mit der Rechten das Kind berührend, die Linke akklamiert, Ochs und Esel schauen zum Kind, vor und hinter der Krippe je zwei Hirten mit Stäben, der rechts stehende Hirte vor der Krippe (körperlich etwas verzogen) führt seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger vor sein im Profil wiedergegebenes Gesicht, darüber eine dünne Wolkenbank mit den Halbfiguren von sieben Engeln (Zeichnung teilweise lavierend mit dem Pinsel gehöht); 6v Titelseite mit Initiale I(n nomine scae. Trinitatis in hoc volumine continentur omeliae et sermones scorum. patrum a nativitate Dni. usque in octavam Pentecostes), ganzseitig, Schaft getreppt und mit Vierpässen besetzt, In primis in nativitate Dni. nostri Ihu. Xpi., 7r Omelia beati Gregorii papae. Q(uia largiente), doppelbändrig, in den Bogen lineare geometrisch-vegetabile Füllung, als Binnenmotiv eine Flechtbandranke, die Cauda nach unten gefiedert, 47v Dom. I. in Quadragesima, 54v Die dom. de Passione dni., 57r Dominica indulgentiae, 60r In caena Dni., 62v In parasceve, 66v-68r (Hom. III. in parasceve) (P)ostea quam Dns. Ihs. peractis omnibus, 68v Bild der Frauen am Grabe (szenische Kombination nach lo 19, 41 f. und Mt 28, 1-7): in der sechseckigen Gartenmauer rechts das offene Tor, im Garten der offene Sarkophag mit dem als Knäuel und Stoffende (in schwacher Ausführung) zu sehenden Leichentuch. Der weggesprengte Deckel, auf dem der Engel sitzt, liegt links oben außerhalb der Mauer. Dort stehen die beiden Marien und wenden sich zum Engel um, der sie anspricht. Sie tragen Salbgefäße und wollen in den Garten zum Sarkophag gehen. Sträucher und Pflanzen in Form von Palmetten wachsen dort außen an der Mauer, unten davor liegen drei Wächter mit Schilden und Lanzen, zu Boden gestürzt, der rechte rücklings, vom Glanz des Auferstandenen geblendet, 69r Dominica sca. Paschae lectio sci. evang. sec. Marcum. I(n illo tempore), Hohlmajuskel in Minium. Omelia beati Gregorii papae. M(ultis vobis lectionibus), ein Arm und Schaft getreppt, unten Herzblätter an Fäden, oben als Binnenmotiv Dolde, Sporangien und Herzblatt an Fäden, 84r Dominica in octava Paschae, 97r Dominica quarta (post octavam Paschae), 101r-111r In nomine Dni. incipit relatio de inventione sce. crucis, 111r In oct. Pent., 112v-114v Dominica secunda post Pentecosten.
  • Die einfachen Initialen haben innerhalb der St. Galler Hss. dieser Zeit eine möglicherweise durch eine Vorlage aus der ersten Hälfte des 9. Jh. bedingte Sonderstellung, was etwa an den Sporangien ablesbar wird. Die Zeichnungen sind keine Gelegenheitsprodukte, sondem exakt passend in den Text eingebettet. Entsprechend dem Textverlust sind vermutlich Darstellungen von Himmelfahrt und Pfingsten zu ergänzen. Vor allem die Geburt Christi fol. 6r mit ihrer malerischen Modellierung passt stilistisch, wie schon Boeckler durch die Gegenüberstellungen von Abbildungen andeutete, zu den Hemisphären sowie den Figuren von Bootes bis Leo auf S. 480-483 von Sang. 250 (vgl. von Euw, St. Galler Buchkunst, S. 449-454, Nr. 120). Eine Entstehung der Hs. unter Abt-Bischof Salomo III. (890-920) im letzten Jahrzehnt des 9. oder zu Beginn des 10. Jh. liegt daher nahe. Kahsnitz betont zurecht die ikonographische Seltenheit der Zeichnungen und ihre Nähe zu einem spätantiken Vorbild. Die sitzenden Gestalten von Maria und Joseph bei der Geburt haben ihre Vorbilder etwa im Elfenbeinbuchdeckel des Mailänder Domschatzes (Mailand, um 400). Das Zusammenziehen von Geburt und Verkündigung an die Hirten weist andererseits auf das vom Meister des Registrum Gregorii um 980 auf fol. 13r im Codex Egberti (Trier, Stadtbibliothek, Ms. 24) komponierte Weihnachtsbild, aber auch auf das Weihnachtsbild im Vat. Barb. lat. 711 (von Euw, St. Galler Buchkunst, S. 505-511, Nr. 147) voraus. Das Osterbild wird durch das Zusammenziehen von Elementen aus dem Mt- und Io-Ev. zu einer besonderen Seltenheit. Wieder ist man an Bilder der Schule von Reims erinnert, die etwa im Evangeliar von Saint-Aure (Paris, Arsenal, lat. 1171) die Evangelisten im ummauerten Hain zeigt (vgl. auch die Zeichnungen in Ms. B. 113, Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek). Gegenüber diesen westfränkischen und mittelrheinischen (?) spätkarolingischen Werken fand der Zeichner des Basler Homiliars ohne Zweifel zum eigenen Stil (vgl. von Euw, St. Galler Buchkunst, S. 441, Nr. 113).
Einband: Ältere Holzdeckel blank, im Rücken braunes Leder, Schließen verloren (repariert von W. Bitz, Basel 1950). Vorsatzbl. Br ist eine Urkunde, Basel 1439 III 13.
Inhaltsangabe:
47 Homilien, von denen 30 aus dem Homiliar des Paulus Diaconus (720/30-um 799) stammen (vgl. von Euw, St. Galler Buchkunst, S. 348-351, Nr. 51, 52), die übrigen sind aus Passionalien erweitert (Textnachweis bei Meyer/Burckhardt). Die Homilien beginnen mit Vig. nat. Dni. und enden mit Dom. II. p. Pent., Proprium de tempore und Proprium de sanctis sind gemischt.
Provenienz der Handschrift: Nach dem Eintrag auf Vorsatzbl. Bv stammt die Hs. aus der Kartause von Basel und ist ein Geschenk des Magisters Petrus de la Trilline, später Bischof von Lodève (1430-1441) bei Montpellier, der Teilnehmer am Konzil von Basel war. Er schenkte die Hs. zusammen mit Mscr. B III 2, ebenso st.gallisch, 9. Jh. (vgl. Hoffmann, S. 371), der Kartause.
Erwerb der Handschrift: 1590 im Besitz der Basler Universitätsbibliothek.
Bibliographie:
  • Johann R. Rahn, Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz, Zürich 1876, S. 795.
  • Georg Swarzenski, Die Salzburger Malerei, von den ersten Anfängen bis zur Blütezeit des romanischen Stils (Studien zur Geschichte der deutschen Malerei und Handschriftenkunde des Mittelalters), Leipzig 1913, S. 35, Anm. 2.
  • Adolf Merton, Die Buchmalerei in St. Gallen vom neunten bis zum elften Jahrhundert, mit einem Vorwort von Adolph Goldschmidt, Leipzig 1923, S. 62 f., Taf. LIII-LIV.
  • Otto Homburger, in: Kat. Kunst des frühen Mittelalters, Bern 1949, Nr. 73.
  • Albert Boeckler, Zwei St. Galler Fragmente, in: Festschrift für Hans Jantzen, Berlin 1951, S. 37-44, hier S. 41, 43, Abb. 8.
  • Gustav Meyer, Max Burckhardt, Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Basel. Beschreibendes Verzeichnis. Abteilung B. Theologische Pergamenthandschriften. Erster Band, Signaturen B I 1 - B VIII 10, Basel 1960, S. 395-399.
  • Florentine Mütherich, in : Kat. Suevia Sacra. Frühe Kunst in Schwaben, Augsburg 1973, Nr. 157.
  • Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 30), Stuttgart 1986, S. 371 f.
  • Rainer Kahsnitz, in: Otto der Große. Magdeburg und Europa. Eine Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg vom 27. August - 2. Dezember 2001, Bd. II Katalog, hrsg. von Matthias Puhle, Mainz, 2001, Nr. IV. 28, S. 224-226, Abb. S. 225.