Laut Prolog der Vita scae. Wiboradae wurde diese (Vita II) während der Regierungszeit des im Jahr 1072 angetretenen Abtes Ulrich (1072-1076) in guter Erinnerung an Abt Nortpert (1034-1072) geschrieben, der 38 Jahre über die Schafherde des hl. Gallus wachte. Der dort p. 374 im Prolog genannte Verfasser Herimannus coenobita sci. Galli steht namentlich auch in der Widmung auf p. 6 am Anfang des Buches, wo es heißt: «Denke daran, Gallus, dass diese Zier des Buches Herimann in feierlichem Versprechen für Dich vollendet hat.»
An der gräzisierenden Schreibweise des Namens Herimannus, in dem das R als Rho = P u. das M mit zwei Rücken an Rücken stehenden C geschrieben wird (wie man es auch bei der Zahl M[ille = 1000] sieht), ist nicht zu zweifeln (die Schreibweise HEPIXANNUS im Katalog von Scarpatetti daher falsch). Schrift u. Initialkunst der Hs. sind gegenüber [Sang. 340] u. [341] (Nr. 164 u. 165) weiter entwickelt. Die nicht in allen Partien gleich fließende Schrift hat Züge der sog. Schrägovalen angenommen (Berschin 2005). Das Verhältnis von Schriftraum u. Initialen ist so ausgeglichen, dass wohl beides einer einzigen Persönlichkeit zuzuschreiben ist. Diese beruft sich mit den Goldinitialen deutlich auf die alte St. Galler Tradition, die dann um 1000 mit [Barb. lat. 711] (Nr. 147) im ottonischen Zeitalter einen neuen Stil findet, dessen elementare Errungenschaften hier weiterleben. Die Sekundärelemente der Initialen in Sang. 560 wie Blüten u. Blattformen gehen auf den Barberinus zurück. Das Wachstum der Buchstabenkörper mit den Umwindungen der Ranken an den Zweigstellen des Stammes weist in der Entwicklung voraus in das 12. Jahrhundert. Diese Kontinuität der St. Galler Buchkunst bis hin zu Sang. 560 ist gewissermaßen eine Wiederholung dessen, was schon im 9. Jahrhundert geschah. Herimannus, den ich als Verfasser, Schreiber u. Illuminator betrachte u. ihn mit Tuotilo (um 850 - um 913) oder Notker Balbulus (um 840-912) vergleiche, konnte sich offenbar in verschiedenen Disziplinen bewegen. Vgl. [Nr. 112], [127], [128].