Bern, Burgerbibliothek, Cod. 9
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Homburger Otto, Die illustrierten Handschriften der Burgerbibliothek Bern, Bd. II (Bern, um 1960) [unpubliziertes Typoskript]. Redigiert und ergänzt von Florian Mittenhuber, August 2012.

Manuscript title: Hrabanus Maurus: Liber de laudibus sanctae crucis
Place of origin: Mittel- oder Südfrankreich
Date of origin: Anfang 11. Jahrhundert
Support: Pergament unterschiedlicher Dicke mit Verwerfungen und Falten. Fehlstellen auf f. 18 und 24.
Extent: 24 Blatt
Format: 42 x 34,5 cm
Foliation: Moderne Bleistiftfoliierung: 1–24
Collation: (V-1)9 + IV17 + (IV-1)24. Von der ursprünglichen ersten Quaternio ist nur das dritte Blatt erhalten (f. 1), das heute zusammen mit der zweiten Quaternio (f. 29) die erste Lage bildet. In der letzten Lage fehlt das achte Blatt. Keine Lagensignaturen.
Zwei Titelnotizen geben Hinweise auf eine andere Abfolge der Blätter im 17. bis 20. Jh.: f. 18r oben Variae figurae in Crucem; vgl. dazu den Katalogeintrag von Hortin. f. 19r oben Carmina in laudem Christi et crucis eius, quibus singulari artificio figura crucis intertexta, singulis subiicitur explicatio mysteriorum, etc.; vgl. den Katalogeintrag von Wild. In der rechten oberen Ecke von f. 19r Signatur Ms 9 sowie unten schwarzer Rundstempel Bibliotheca Bernensis (42 mm). Die Blätter wurden vermutlich erst Ende 19./ Anfang 20. Jh. in die richtige Reihenfolge gebracht; vgl. den Katalogeintrag von Hagen sowie die handschriftlichen Bemerkungen auf verschiedenen Blättern und die radierte ältere Foliierung (15, 1622, 24, 714, 23, 16).
Condition: Mehrfach restauriert (nicht dokumentiert).
Page layout: Einspaltig, Schriftspiegel 34 x 25,5 cm, 51 Zeilen, Blindlinierung senkrecht und waagrecht, Abstand 7 mm.
Writing and hands: Im Textteil regelmässige, kräftige karolingische Minuskel mit quadratischen Proportionen; für die Übertragung des in die Figuren eingeschriebenen Textes wird eine rote Rustica verwendet. In den Figurengedichten Unzialschrift, während die Mehrzahl der übrigen Textzeugen eine Rustica verwendet.
Decoration:
  • a) Figurengedichte:
    Die Figurengedichte sind – mit wenigen Ausnahmen – quadratisch (27,5–32 cm) und umfassen zwischen 35 und 41 Buchstaben bzw. Zeilen. Die einzelnen Figuren der Gedichte sind mit Scharlachrot, Rosa, Orange, Graugrün, Türkis, einem hellen und dunklen Blau, Zitronengelb, Rostbraun sowie Dunkelbraun flächig koloriert. Je nach Farbton der Figuren weist der eingeschriebene Text eine gegenteilige Tönung auf: bei dunklem Hintergrund werden helle Buchstabenfarben verwendet, und umgekehrt. Hervorzuheben ist die feine Ornamentik, mit der die Rahmenbordüren der Bildergedichte gefüllt sind. Insgesamt sind von den 28 Figuren des Kreuzes, die regelmässig auf den Rückseiten einander folgten, 23 erhalten (2v24v, nach Reudenbach 1986, S. 28):
    • 2v (Bild VI): Vier Kardinaltugenden: Malteserkreuz aus vier Dreiecken
    • 3v (Bild VII): Vier Elemente, Jahreszeiten und Himmelsrichtungen: Vier Kreise
    • 4v (Bild VIII): Zwölf Monate, Sternzeichen und Winde: Griechisches Kreuz mit jeweils gegabelten, also zwölf Enden
    • 5v (Bild IX): 365 Tage des Jahres: 365 Buchstaben, aufgeteilt auf vier Sechsecke und Mittelquadrat
    • 6v (Bild X): Zahl 70: Fünf kreuzförmig angeordnete Gruppen von je vierzehn Buchstaben
    • 7v (Bild XI): Fünf Bücher des Pentateuch: Fünf Quadrate
    • 8v (Bild XII): Der Name Adam: Vier griechische Grossbuchstaben ADAM
    • 9v (Bild XIII): 276 Tage der Inkarnation Christi: Vier Kreuze mit je 69 Buchstaben
    • 10v (Bild XIV): Die 5231 Jahre vom Beginn der Welt bis zur Passion Christi: Gematrisch verstandene griechische Grossbuchstaben (Γ = 3; Ζ = 7; Τ = 300; ◇◇ = 1000)
    • 11v (Bild XV): Vier Evangelisten und das Gotteslamm: Adler (Johannes), Löwe (Markus), Mensch (Matthäus) und Stier (Lukas) mit dem Lamm in der Mitte
    • 12v (Bild XVI): Sieben Gaben des Heiligen Geistes: Kreuz, dessen Balken jeweils aus sieben Blüten gebildet sind
    • 13v (Bild XVII): Acht Seligpreisungen: Acht Achtecke
    • 14v (Bild XVIII): Zahl 40: Vier Dreiecke mit jeweils zehn umrahmten Einzelbuchstaben
    • 15v (Bild XIX): Zahl 50: Fünf X (römische Zahl für 10)
    • 16v (Bild XX): Zahl 120: Vier Λ (Lambda, griechisches Zahlzeichen für 30)
    • 17v (Bild XXI): Zahl 72: 72 umrahmte Einzelbuchstaben
    • 18v (Bild XXII): Christusmonogramm: XP, gebildet aus griechischen Grossbuchstaben, welche den Satz Ο ΣΟΤΗΡ, ΙΗΣΥΣ, ΑΛΗΘΙΑ (Jesus, der Retter ist die Wahrheit) bilden
    • 19v (Bild XXIII): Zahl 24: Kreuz mit Dreiecken aus sechs umrahmten Einzelbuchstaben an jedem Ende
    • 20v (Bild XXIV): Zahl 144: Vier Fünfecke mit je 36 Buchstaben
    • 21v (Bild XXV): Alleluia – Amen: Kreuzförmig angeordnete Buchstaben ALLELVIA, in der Mitte Kreuz mit eingeschriebenem AMEN
    • 22v (Bild XXVI): Aussagen der Propheten zur Passion Christi: Kreuz
    • 23v (Bild XXVII): Aussagen der Apostel zur Passion Christi: Kreuz
    • 24v (Bild XXVIIII): Anbetung des Kreuzes durch den Autor: Darstellung Hrabans unter dem Kreuz
    Der Stil des Matthäus-Engels und der Haarbüschel auf dem Kopf des Lammes (11v) sowie des knienden Mönchs (Hrabanus, 24v), dessen linear behandeltes Gewand nur noch aus einem Stück besteht, ähnelt laut Homburger den Illustrationen der Bibel aus St. Martial, Limoges (Paris, BN ms. lat. 5), des Pontifikale aus Nevers (Paris, BN ms. lat. 17333) und der Apokalypse von Saint Sever (Paris, BN ms. lat. 8878).
  • b) Initialen:
    Der grössere Teil der Texte auf den Rectoseiten wird mit grossen Initialen eigeleitet, die mit ausgespartem, gezahntem Blattwerk verziert sind. Der rotgezeichnete Körper der Zierbuchstaben ist durch ausgesparte Leisten (Bänder) begrenzt, die teilweise oben in Geflecht enden (2r); die Innenfelder sind mit Blau, Zitronengelb, Scharlachrot und Graugrün koloriert. Verzierte Initialen finden sich auf:
    1r: >O< Christe; 1v: >H<ortatur; 2r: >I<n; 3r: >Q<uantos; 4r: >R<ecte; 5r: >D<uo (einfarbig); 7r: >S<eptuaginta; 8r: >Q<uisquis; 9r: >Q<uid; 10r: >H<ae; 11r: >I<n; 15r: >Q<uadragenarius; 16r: >H<aec; 17r: >D<enique; 18r: >H<anc; 20r: >E<cce; 22r: >I<stic; 23r: >I<n.
    Unverziert und in einfachem Rot gehalten sind: 6r: >E<rgo; 12r: >Hic<; 13r: >S<criptum; 14r: >O<cto; 19r: >Q<uid; 21r: >C<ontinet; 24r >N<ovi.
Additions: Verschiedene Bemerkungen zur Abfolge der Blätter (s. oben Lagen).
Binding: Pappdeckel (43,5 x 35 cm) mit Papierüberzug, 18./19. Jh.; weisser Pergamentrücken; Buchblock auf Textilbänder geheftet (19./20. Jh.). Je 1 Vorsatzblatt vorne und hinten als Umlauf zum Spiegelblatt (f. I bzw. III, 20. Jh.), ohne WZ; ein zweites Vorsatzblatt vorne (f. II, 17. Jh.) mit WZ Berner Wappen.
Contents:
124 Hrabanus Maurus: Liber de laudibus sanctae crucis
  • Editionen:
    • PL: Migne, Jacques-Paul (Hg.): Hrabanus Maurus. De laudibus sanctae crucis. (Paris 1852) [= Patrologiae cursus completus ... Series Latina, Bd. 107].
    • Perrin, Michel Jean-Louis: Rabanus Maurus. In honorem sanctae crucis. 2 Bde. Turnhout 1997 [= Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis 100–100 A].
  • 1r24v Hrabanus Maurus: Liber de laudibus sanctae crucis A6–7; C5 – B28
    • (1rv) Einleitungsteil (A6–7). O Christe salvator, rex regum et Dominus dominorum …–… crucifixi regis offensam incurrens redemptionis gratiam quae in cruce est non consequatur.
      Ed. Perrin 1997, S. 13–19; PL 107, 143B–146D.
    • (2r24v) Gedichtzyklus (C5 – B28). In hac igitur pagina crux sancta per medium tendit …–… O laus alma crucis semper sine fine valeto.
      Ed. Perrin 1997, S. 59–219; PL 107, 169A–264A.
    Bemerkungen zum Inhalt:
    Die abschliessende Fassung des zweibändigen Liber de laudibus sanctae crucis von Hrabanus Maurus, ist vermutlich nach 831, während seiner Zeit als Abt von Fulda entstanden. Das Werk besteht aus einem Einleitungsteil (A) sowie einem ersten (B–C) und einem zweiten Buch (D) [Zählung nach Perrin 1997].
    Der Einleitungsteil (A) enthält, nebst zwei Widmungsbildern und zwei Figurengedichten, verschiedene Widmungen, Vorreden und ein Inhaltverzeichnis zum Gedichtzyklus des ersten Buches. Dieser setzt sich aus 28 Kapiteln zusammen, die jeweils in ein Figurengedicht auf der linken Seite (B) und einen Prosatext auf der rechten Seite (C) geteilt sind. Die Figurengedichte bestehen jeweils aus Hexametern, in denen Figuren hervorgehoben sind. Deren Buchstaben ergeben einen Text, der in einem Bezug zu Christus, dem Kreuz oder einer entsprechenden Symbolik steht. Der Prosatext auf der rechten Seite erläutert den Sinn der Seite und wiederholt die in den Gedichten hervorgehobenen Texte. Das zweite, ebenfalls in Prosa abgefasste Buch, enthält 28 Paraphrasen zu den Figurengedichten des ersten Buches.
    Im unvollständigen Berner Cod. 9 hat sich vom Einleitungsteil nur ein Blatt mit der Würdigung von Kaiser Ludwig dem Frommen (A6) und der praefatio zum ersten Buch (A7) erhalten. Vom ersten Buch findet sich der Teil vom Prosatext des fünften Gedichtes (C5) bis zum letzten Figurengedicht (B28). Es fehlen also Teile der Einleitung (A1–5 und 8–9), die ersten 5 Figurengedichte (B1–5) und einige Prosatexte (C1–4 und 28) des ersten Buches sowie das ganze zweite Buch (D0–28).
    Literatur zur Handschrift (Auswahl):
    • Bischoff, Bernhard: Handschriftenarchiv Bernhard Bischoff [Mikroform]. München 1997, Fiche 64.
    • Ernst, Ulrich: Carmen figuratum. Geschichte des Figurengedichts von den antiken Ursprüngen bis zum Ausgang des Mittelalters. Köln 1991, S. 311.
    • Homburger, Otto: Die illustrierten Handschriften der Burgerbibliothek Bern, Bd. II [unpubliziertes Typoskript]. Bern, um 1960, S. 2.
    • Müller, Hans Georg: Hrabanus Maurus. De laudibus sanctae crucis. Studien zur Überlieferung und Geistesgeschichte mit dem Faksimile-Textabdruck aus Codex Reg. Lat. 124 der vatikanischen Bibliothek. Ratingen/ Kastellaun/ Düsseldorf 1973, S. 35–39.
    • Sibertin-Blanc, Claude: Peiresc, Saint Benoît sur Loire et les Laudes Crucis de Raban Maur. In: Mélanges Clovis Brunel, Bd. 2. Paris 1955, S. 547–555.
Provenance of the manuscript: Aufgrund der Erwähnung in Hortins Katalog stammt die Handschrift aus dem Besitz von Jacques Bongars (sein Namenszug fehlt jedoch).
Acquisition of the manuscript: Durch die Schenkung von Jakob Graviseth 1632 in die Berner Bibliothek gelangt.
Kataloge:
  • Hortin, Samuel: Clavis bibliothecae Bongarsianae MDCXXXIIII. Bern 1634 [= BBB Cod. A 5], S. 20: [Sign.] III.1 [Nr. 4] Variae figurae crucis, f[ol].
  • Wild, Marquard: Catalogus Librorum Bibliothecae Civicae Bernensis MDCIIIC. Bern 1697 [= BBB Cod. A 4], f. 13r: 9. Carmina in laudem Christi et crucis eius, quibus singulari artificis figura crucis intertexta, singulis subiicitur explicatio mysteriorum, f[ol].
  • Engel, Samuel: Manuscripta A[nno] 1740. Bern 1740 [= BBB Mss.h.h. III 110], f. 59r: 9. Maurus Rhabanus, uti videtur, De laud[ibus] s[anctae] crucis, fol. 23, fig. 22, saec. 9°, m[embr.] und f. 79v 9. Rhabanus Maurus, De laudib[us] s[anctae] crucis, fol. 23, fig. 22, saec. 9°, m[embr.].
  • Sinner, Johann Rudolf: Catalogus codicum mss. bibliothecae Bernensis, Bd. 1. Bern 1760, S. 178.
  • Hagen, Hermann: Catalogus Codicum Bernensium. Bern 1875, S. 6.
Literatur (Auswahl):
  • Bautier, Robert-Henri/ Labory, Gillette: Vie de Gauzlin, abbé de Fleury = Vita Gauzlini abbatis Floriacensis monasterii. Paris 1969, S. 82, Anm. 5.
  • Boinet, Amédée: Notice sur deux manuscrits carolingiens à miniatures exécutés à l’abbaye de Fulda. In: Bibliothèque de l’Ecole des Chartes 65 (1904), S. 355–363.
  • Butzmann, Hans: Einige Fragen zur Überlieferung und zu den Bildern der laudes sanctae crucis des Hrabanus Maurus. In: Codices manuscripti 4.3 (1978), S. 65–74.
  • Ernst, Ulrich: Carmen figuratum. Geschichte des Figurengedichts von den antiken Ursprüngen bis zum Ausgang des Mittelalters. Köln 1991, S. 222–332.
  • Ferrari, Michele Camillo: Hrabanica. Hrabans De laudibus sanctae crucis im Spiegel der neueren Forschung. In: Schrimpf, Gangulf (Hg.): Kloster Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen. Frankfurt a.M. 1996, S. 493–526.
  • Henze, Adolf: Magnentii Rhabani Mauri de laudibus sanctae crucis. Leipzig 1847.
  • Holter, Kurt: Hrabanus, Maurus. Liber de laudibus sanctae crucis. Bd. 1: vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vindobonensis 652 der Oesterreichischen Nationalbibliothek. Bd. 2: Kommentar. Kodikologische und kunsthistorische Einführung. Graz 1973.
  • Mott, A.: Die Kreuzesymbolik bei Hrabanus Maurus. In: Fuldaer Geschichtsblätter 4 (1915), S. 145–152, 182–189.
  • Perrin, Michel Jean-Louis: L’iconographie de la "Gloire à la sainte croix" de Raban Maur. Turnhout 2009.
  • Perrin, Michel Jean-Louis: Le De laudibus sanctae crucis de Raban Maur: de la codicologie à la theologie en passant par la poétique. In: Revue des Etudes Latines 67 (1989), S. 213–235.
  • Perrin, Michel Jean-Louis: Le De laudibus sanctae crucis de Raban Maur et sa tradition manuscrite au IXe siècle. In: Revue d’Histoire des Textes 19 (1989), S. 191–252.
  • Perrin, Michel Jean-Louis: La composition de l’In honorem sanctae crucis de Raban Maur: possibilités et limites de l’explication de la structure de l’œuvre. In: Revue des Etudes Latines 73 (1996), S. 199–212.
  • Perrin, Michel Jean-Louis: Louanges de la Sainte Croix. Paris 1988.
  • Prochno, Joachim: Das Schreiber- und Dedikationsbild in der deutschen Buchmalerei. Leipzig/ Berlin 1929, S. 11–16.
  • Reudenbach, Bruno: Das Verhältnis von Text und Bild in "de laudibus sanctae crucis" des Hrabanus Maurus. In: Grubmüller, Klaus, u.a. (Hg.): Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters. München 1984, S. 282–320.
  • Reudenbach, Bruno: Zum Bilderverständnis in den Figurengedichten von Hrabanus Maurus. In: Frühmittelalterliche Studien 20 (1986), S. 25–36.
  • Sibertin-Blanc, Claude: Peiresc, Saint Benoît sur Loire et les Laudes Crucis de Raban Maur. In: Mélanges Clovis Brunel, Bd. 2. Paris 1955, S. 538–555.
  • Spilling, Herrad: Opus Magnentii Hrabani Mauri in honorem sanctae crucis conditum – Hrabans Beziehung zu seinem Werk. Frankfurt a.M. 1992.
Externe Ressourcen: