Kurzcharakterisierung:Engelberger Abschrift des Geschichtswerks Historiarum adversum paganos libri VII des Kirchenschriftstellers Orosius. Das Engelberger Exemplar wurde unter Abt Frowin (1143–1178) in Auftrag gegeben. Es enthält u. a. bemerkenswerte Initialen der damaligen Engelberger Buchmalerei und eine Vielzahl von Glossierungen. Die Handschrift ist eine sorgfältige Abschrift des Sankt Galler Exemplars Cod. 621 (9. Jahrhundert). Der Engelberger Text diente später als Vorlage für den Cod. 60 aus der Schaffhauser Stadtbibliothek.(keg)
Standardbeschreibung: Eisenhut Heidi, Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). St. Gallen, 2009 (Monasterium Sancti Galli 4).
Standardbeschreibung anzeigen
Online seit: 31.07.2007
Engelberg, Stiftsbibliothek, Cod. 1009
Pergament · 149 ff. · 31.5 x 21.5 cm · Engelberg · 1143-1178
Paulus Orosius, Historiarum adversum paganos libri VII
Wie zitieren:
Engelberg, Stiftsbibliothek, Cod. 1009, f. 56v – Paulus Orosius, Historiarum adversum paganos libri VII (https://www.e-codices.ch/de/list/one/bke/1009)
Umfang:
149 Bl., inkl. je zwei leere Blätter aus Papier vorne (A, B) und hinten (Y, Z)
Format: 31,5 x 21,5 cm
Seitennummerierung: Bleistiftfoliierung f. 1r-149r; eine Lage ist
vertauscht (wohl 17. Jh.): f. 48v endet mit Oros. 3,12,26, f. 49r beginnt mit Oros. 3,23,51. Die richtige Reihenfolge lautet:
f. 48v, f. 57r-64v, f. 49r-56v, f. 65r.
Seiteneinrichtung:
Schriftraum einspaltig, 22,5 x 14 cm, 30 Zeilen.
Buchschmuck: Initialschmuck der Frowin-Zeit, eine rechteckige T-Karte (siehe unten)
Einband:
helles Leder auf Holz, 17. Jh.; als vorderes Spiegel- und Vorsatzblatt (f. 1r-2v) sowie als hinteres Spiegel- und Nachsatzblatt je ein papierenes Doppelblatt.
Inhaltsangabe:
f. Bv
Besitzeintrag des 18. Jh. durch P. Karl Stadler
f. 1r
Besitzeintrag der Frowin-Zeit (1143-1178) und Ausführungen über römische praesidia (vgl. Cod. Sang. 621, p. 355)
f. 1vGennadius von Marseille: De viris illustribus (5. Jh.), Art. Orosius
f. 2r-3rcomputatio anni CCCCLII
(MGH AA IX, p. 149-153)
3r-149vOrosius (ca. 380/90 – nach 418)
: Historiarum adversum paganos libri VII
(f. 3r-15v)
Incipiunt capitulationes . ex corpore libri huius . Orosii presbiteri
Incipit und Explicit passim in rubrizierten Ziermajuskeln
(f. 15v-17r)
Prefatio libri primi
Oros. 1, prol.,1 - 1,1,3
(f. 17r)
Incipit liber primus hystoriarum Orosii presbiteri
Buch I beginnt hier mit Oros. 1,1,4
f. 17v Spaltleisteninitiale E(go initium miserie hominum), schöne Engelberger Ranken, Binnenfelder partiell in Rot, Grün und Blau
f. 18r T-Karte am rechten Blattrand (vgl. Cod. Sang. 621, p. 35b): Oceanus, Asia, Europa, Africa; in dunkelbrauner und roter Tinte ausgeführt
(f. 31r)
Incipit liber IIus
Initiale N(eminem iam esse hominum arbitrorum) in Rot, Querbalken mit Perlband im Binnenfeld
f. 43r Spaltleisteninitiale E(t superiore iam libro), Binnenfelder partiell in Rot, Grün und Blau
(f. 49v)
Incipit liber quartus hystoriarum Orosii presbiteri
Initiale D(ixisse Eneam Virgilius refert), einfache, vollständig rubrizierte Lombarde
(f. 74v)
Incipit liber quintus
Initiale S(cio aliquantos post hec deinceps), einzige zoomorphe Initiale (Fabelwesen zwischen Drachen und Schlange)
(f. 94r)
Incipit liber sextus Orosii presbiteri
Spaltleisteninitiale O(mnes homines cuiuslibet), Spaltfüllung teilweise rot, insgesamt wohl unvollendet
(f. 115r)
Incipit liber septimus hystoriarum Orosii
Initiale S(ufficientia ut arbitror documenta collecta sunt), einfache, vollständig rubrizierte Lombarde
>f. 149v Explicit liber hystoriarum Orosii presbiteri<
Provenienz der Handschrift:
Der Codex 1009 (= En) ist im Bestandeskatalog von Engelberg aus dem Jahre 1891 (Gottwald) nicht erwähnt. Man wusste zwar aus den Katalogen des 17. und 18. Jahrhunderts von der Existenz einer Orosiushandschrift in Engelberg, glaubte aber, sie wäre verloren (vgl. Steinmann 1993, p. 13). Bis zu ihrer unerwarteten Wiederentdeckung bei Bauarbeiten am 9. Februar 1963 in einem Zwischenboden über den Gewölben des alten Kapitelsaals in zufälliger Gemeinschaft mit acht anderen Handschriften war nichts über ihren Charakter geschweige denn über die Glossen, die sie enthält, bekannt. Der damalige Bibliothekar, Wolfgang Hafner, schreibt in der Ausgabe der Zeitschrift Librarium noch im gleichen Jahr voller Begeisterung über den Orosiuscodex: "Einen besonderen Reiz bildet die durchgehende Kommentierung des Textes. Ist das eine Originalleistung Engelbergs oder stammt sie aus der Vorlage? Die kritische Ausgabe im Wiener Corpus [Pauli Orosii Historiarum adversum paganos libri VII. Accedit eiusdem Liber apologeticus, hg. von Carl Zangemeister, Wien 1882 (CSEL 5), Anm. HE] gibt darüber keinen Aufschluss. Und wer durfte in einem solch prachtvollen Band seine Bemerkungen einfügen, wenn nicht ein bedeutender Meister? Ob man gar den gelehrten Abt Frowin dafür namhaft machen darf? Das sind Fragen, die noch zu klären sind." (Hafner 1963, p. 117).
Die Handschrift umfasst 149 Pergamentblätter inklusive je zwei leere Blätter aus Papier
vorne (A, B) und hinten (Y, Z). Auf f. Bv trägt sie den Besitzeintrag Bibliotheca
Angelo-Montanae von der Hand des Paters Karl Stadler (18. Jh.). Auf f. 1r steht am oberen Rand ein für die Engelberger Handschriften der
Frowin-Zeit charakteristischer Besitzeintrag (vgl. Steinmann 1993, p. 10-16) mit den Worten
Contulit ista pie Frovvinus scripta Marie. Tu regina poli data munera spernere
noli – "Dieses Buch hat Frowin der barmherzigen Maria zukommen lassen. Mögest Du,
Königin des Himmels, die Dir dargebotenen Geschenke nicht verschmähen". Der Engelberger
Orosius ist zur Zeit Frowins (1143-1178) im Kloster entstanden, abgeschrieben wohl im
hauseigenen Scriptorium, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber nicht von der Hand, die in 26 von
34 Codices, in denen solche Besitzeinträge fassbar sind, in Erscheinung tritt (vgl.
Steinmann 1993, p. 11f. und Abb. 1-8). Es handelt sich um einen stattlichen Band mit den
Maßen 31,5 x 21,5 cm und einem Textfeld von 22,5 x 14 cm à 30 Zeilen pro Seite, der bewusst
als Abschrift "aus einem Guss" und somit als Abschrift mit Glossen angelegt worden war. Als
mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte Vorlage konnte der Cod. Sang. 621 identifiziert werden
(vgl. Eisenhut 2006). Der Engelberger Orosius hat wenigstens einer weiteren Handschrift, dem
Cod. Min. 60 der Ministerialbibliothek, heute Stadtbibliothek, Schaffhausen als Vorlage
gedient (vgl. Gamper/Knoch/Stähli 1994). Auf der gleichen Seite wie der alte Besitzeintrag,
also auf f. 1r, finden sich die Ausführungen über die
praesidia und legiones romanorum, die im Cod. Sang. 621 auf p. 355 stehen. Auf f. 1v steht der "Lexikonartikel" von Gennadius von Marseille zur Person des Orosius auf zwei Spalten
verteilt und auf f. 2ra-3rb ist die Computatio anni CCCCLII
übernommen, die im Cod. Sang. 621 nur noch lückenhaft überliefert ist (Verlust eines Blattes). Mit den rubrizierten Worten Incipiunt capitulationes ex corpore libri huius
Orosii presbiteri in Capitalis sind auf der unteren Hälfte von f.
3rb die Capitula eingeleitet. Die Praefatio libri primi ihrerseits ist auf f. 15v angekündigt und beginnt mit f. 16r,
einspaltig, woran sich bis f. 149v nichts mehr ändert. Unter den
Initialen sind die beiden bei Hafner abgedruckten, die E Initiale auf f.
17v (Einleitung von Oros. 1,1,1) und die S Initiale, eine Dracheninitiale, auf
f. 74v (Einleitung von Oros. 5,1,1), besonders hervorzuheben. Eine
einzige Illustration ziert den Rand von En: Es handelt sich um das Ökumeneschema (T Karte)
zu Oros. 1,2,1 (f. 18v), das sich im Cod. Sang. 621 auf p. 35b
befindet. Ende 17. Jahrhundert wurde die Handschrift neu eingebunden. Spätestens zu diesem
Zeitpunkt wurde eine Lage vertauscht: f. 48v endet mit Oros.
3,12,26, f. 49r beginnt mit Oros. 3,23,51. Die richtige
Reihenfolge lautet: f. 48v, f.
57r-64v, f. 49r-56v, f. 65r. Im Unterschied zu Cod. Sang. 621 sind die Additamenta ex Eusebii historia ecclesiastica auch in En nach Oros. 7,2,16 lückenlos in den Grundtext eingefügt und finden sich auf den f. 116v-121v. En enthält ferner einen Teil der Subskription, die sich im Cod. Sang. 621 auf p. 351b befindet. Der Engelberger Orosius endet auf f. 149v mit den Worten: Utilis multum liber: difficilis tamen. quia plus commemorando . quam énarrando quae facta sunt describuntur: Quod quidem et ipse auctor se non sine iusta causa fatetur fecisse;
Allein dieser Passus zeigt sehr deutlich die wohlüberlegte Abschrift vom St. Galler Original: Dort heißt es gleich zu Beginn: Vtilis multum liber . sed uitio scriptoris mendosus . difficilis tamen. Das vitium des Schreibers war durch die sorgfältige Korrekturtätigkeit Ekkeharts IV. im Auftrag von Notker eliminiert worden (vgl. Cod. Sang. 621). Der Abschreiber hatte somit ein korrektes Exemplar vor sich liegen, und er nutzte die Korrekturen, die er allesamt sorgfältig in seine Abschrift einbaute.
Bibliographie:
Bruckner, Albert (Hg.), Scriptoria medii aevi Helvetica. Denkmäler der schweizerischen Schreibkunst des Mittelalters, Bd. VIII: Schreibschulen der Diözese Konstanz. Stift Engelberg, Genf 1950.
Eggenberger, Christoph (Hg.), Die Bilderwelt des Klosters Engelberg. Das Skriptorium unter den Äbten Frowin (1143-1178), Berchtold (1178-1197), Heinrich (1197-1223), Luzern 1999.
Eisenhut, Heidi, Die Glossen Ekkeharts IV. im Codex Sangallensis 621. Untersuchungen und Edition, Diss. Zürich 2006.
Gamper, Rudolf, Gaby Knoch-Mund und Marlis Stähli (Hgg.), Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Ministerialbibliothek Schaffhausen, Dietikon-Zürich 1994.
Gottwald, Benedikt, Catalogus codicum manu scriptorum qui asservantur in bibliotheca monasterii O.S.B. Engelbergensis in Helvetia., Freiburg/B 1891.
Hafner, Wolfgang, Die Engelberger Bücherfunde, in: Librarium 6 (1963) p. 110-118.
Scarpatetti, Beat M. von et al. (Hgg.), Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, begr. von Albert Bruckner, Bd. 3, Dietikon-Zürich 1991.
Steinmann, Martin, Abt Frowin von Engelberg (1143-1178) und seine Handschriften, in: Der Geschichtsfreund 146 (1993) p. 7-36.