Kurzcharakterisierung:Das kleine Gebetbuch aus dem 12. Jahrhundert, das älteste in deutscher Sprache, ist für eine Frau geschrieben worden. Es enthält verschiedene deutsche und lateinische Gebete, darunter die berühmte „Mariensequenz aus Muri“, die älteste bekannte Nachbildung der lateinischen Sequenzform in deutscher Sprache des Ave praeclara maris stella. Es wurde im 19. Jh. mit der Königin Agnes (ca. 1281-1364), die im Kloster Königsfelden gelebt hatte, in Verbindung gebracht. Im Handschriftenverzeichnis des Klosters Muri von 1790 aufgeführt.(ber)
Standardbeschreibung: Bretscher-Gisiger Charlotte / Gamper Rudolf, Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Klöster Muri und Hermetschwil, Dietikon-Zürich 2005, S. 254-257.
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Online seit: 22.06.2010
Sarnen, Benediktinerkollegium, Cod. membr. 69
Pergament · 98 ff. · 9 x 6.5 cm · 12. Jahrhundert
Gebetbuch
Wie zitieren:
Sarnen, Benediktinerkollegium, Cod. membr. 69, f. 8v – Gebetbuch (https://www.e-codices.ch/de/list/one/bks/membr0069)
Bretscher-Gisiger Charlotte / Gamper Rudolf, Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Klöster Muri und Hermetschwil, Dietikon-Zürich 2005, S. 254-257.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags (Urs Graf Verlag, Dietikon). Das Copyright an der Handschriftenbeschreibung liegt beim Verlag.
Handschriftentitel: Gebetbuch
Entstehungszeit: 12. Jahrhundert
Frühere Signatur:
Cod. 5.23.
Beschreibstoff: Pergament
Umfang:
98 Blätter
Format: 9 x 6,5 cm
Seitennummerierung: Neuere Foliierung seit der Restaurierung von 1967: I. 1-97; Foliierung Bl. 72-87 gegenüber der älteren Foliierung bei Piper und Ochsenbein geändert.
Lagenstruktur: Lagen: (IV-I)7 + 11 IV95. Nach Bl. 2 fehlt ein Blatt; BI. 12, 18, 54, 70 und 80 genäht, die Lagen 9 und 10 sind verbunden.
Seiteneinrichtung:
Einstichlöcher für die Liniierung vorhanden, keine Liniierung sichtbar. Schriftraum 7 x 5, 16 Zeilen.
Schrift und Hände: Späte karolingische Minuskel.
Buchschmuck:
Rubriziert.
1-4zeilige rote Majuskeln, teilweise als Silhouetteninitialen gestaltet, 45v und 85v 9zeilige und 6zeilige rote Silhouetteninitialen.
Federzeichnungen in schwarzer und roter Tinte: 44v nimbierte Frau mit erhobenen Händen, 45r Kreuzigung mit Maria und Johannes; 95v Federskizze in schwarzer Tinte: Kopf eines Hundes oder eines Drachen.
Spätere Ergänzungen:
Rasuren, teilweise überschrieben, z. B. 16r-18r, 74r; 1r Text wegradiert.
Nachträge: 63v über dem Schriftspiegel mea nene (?) oder mea rene (?), 13. Jh.?; zur Deutung siehe Besitzer; 72v am seitlichen Rand est nit, 13. Jh.; 76v-77r am oberen und seitlichen Rand eia Martini Ma[ri]e Io [sic] Iohanes minen got for alle dingen so mach dir niemer miselighen, 13. Jh.
Einband:
Mit hellem Leder bezogene Holzdeckel, 14./15. Jh. Ehemals eine nach hinten greifende Schliesse oder Schliessband, Befestigungslöcher auf dem vorderen Deckel sichtbar. Die von Piper (1898) erwähnte "lederne Kapsel", wohl eine Art Schuber, ist nicht mehr vorhanden. Roter Schnitt, nur noch teilweise sichtbar. Spiegel- und Vorsatzblätter (I, 97) Pergament, neu; altes Spiegelblatt hinten (96) Urkundenfragment, 14. Jh., beschnitten: // beschaiden. Hainrich der Giel // [i oder u]rg iecz äbcischinnen dez goczhus // wär gewert und / bezalt an den // erben ainen som wines järliches // wingarten gelegen ze Waiblin // Im dez gunnen gestatlen (?) und // cht und redlich mit ünser hand // nücz gůt und notdurftig warent // mit allen rehten nüczzen und // dem rehten verlien und sin erben // [
[…]
] die nu (?) // wegen vrihercklich (?) und unverzo //. Ein zweites Fragment derselben Urkunde auf der Innenseite des Vorderdeckels fehlte laut Steinmeyer bereits 1898. Heinrich Giel ist 1338-1370 bezeugt (Chartularium Sangallense, hrsg. von Otto P. Clavadetscher, Bd. 6-8, St. Gallen 1990-1998, Nr. 3687 und 5227). Die von Bruckner erwähnten Schnüre, die als Lesezeichen dienten, sind nicht mehr vorhanden. Auf dem vorderen Vorsatzblatt Papierschild: Hoc libro precum utebatur Regina Agnes uxor Andreae III Hungarorum regis, filia Alberti I. Austriaci, S. R. J. Imperatoris, quae occiso patre vixit et obiit pia vidua in Monasterio ab ipsa fundato Königsfelden anno 1364, 19. Jh. Restauriert 1967.
1r-3vGebet und Beschwörung zur Schadenabwehr>Oratio bona ad deum<
Rest der Seite radiert. // H[erre]
2ralmehtige got ich bite dich dur din heiligis hoͧbit …
Friedrich Wilhelm, Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 12. Jahrhunderts, Abteilung A: Text, München 1914, S. 73f. Zeile 1-41;
Gerhard Eis, Altdeutsche Zaubersprüche, Berlin 1964, S. 117-123.
3v-4vGemeinschaftsandacht für neun FrauenDiz ist der vane dis almehtin gotis wieme den lesin sol …
mit Oratio. Wilhelm, Denkmäler A, S. 74 Zeile 42-58.
4v -19vGebete, Segen und Beschwörungen>De sancto Petro<Herre sancte Petir du den giwalt hest zigebindinne …
Gebete zu Petrus.
(17r)
Gebete um Schutz und Trost. Wilhelm, Denkmäler A, S. 74 Zeile 59 - S. 81 Zeile 314.
19v-20vAnweisung zum Almosengeben für eine glückliche ReiseDu wis giwis swardu verst, ube du disu almoͧsin gibist … Wilhelm, Denkmäler A, S. 81 Zeile 315-328.
20v-22rFürbitte für einen FreundSwer sinis friundis sele welle helfin uzir not …
Gebete über Almosenbrot. Wilhelm, Denkmäler A, S. 81 Zeile 329 - S. 82 Zeile 357.
22r-27vBeichte und Bitte um SündenvergebungNu toͧ dine bihte und virgih dinir sundon … Wilhelm, Denkmäler A, S. 82 Zeile 357 - S. 84 Zeile 460.
27v-31rHymnus, Gebet>De sancto Iohanne baptista<Ut queant laxis …
AH 50 Nr. 96.
(29r)
Ich lobe dich vatir got almehtigin … Wilhelm, Denkmäler A, S. 84 Zeile 461- S. 85 Zeile 490.
31r-33vAndacht zu Erasmus>De sancto Erasmo<Herre sancte Erasme, du mime trehtine … Wilhelm, Denkmäler A, S. 85 Zeile 491 - S. 86 Zeile 534.
33v-36rMariensequenz aus Muri>Sequentia de sancta Maria<Ave vil liehtu maris stella ein lieht der cristinheit Maria alri magide lucerna …
Friedrich Maurer, Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts, Bd. 1, Tübingen 1964, S. 456-461;
Konrad Kunze, Artikel Mariensequenz aus Muri, in: Verfasserlexikon2 , Bd. 6 (1987), Sp. 50-54;
Barbara Gutfleisch, Eine ostoberdeutsche Handschrift der ,Mariensequenz aus Muri', in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Bd. 119 (1990), S. 61-75 (zur westalemannischen Mundart, Varianten der Hs. unter der Sigle A).
36r-41vGebet zu MariaEwigu magit froͧwa sancta Maria du da bist ein kuniginne des himils … Wilhelm, Denkmäler A, S. 86 Zeile 535f., S. 88 Zeile 537-569, S. 90 Zeile 570-607, S. 92, 608-616.
Achim Masser, Artikel Engelberger Gebete, in: Verfasserlexikon2 , Bd. 2 (1980), Sp. 528.
41v-44vGebete um den Schutz Gottes und der HeiligenIch bivil mich .N. dem almehtigin gote in die selbun gnade … Wilhelm, Denkmäler A, S. 92 Zeile 616-639, S. 94 Zeile 640-658.
Vgl. Achim Masser, Artikel Kölner Morgensegen, in: Verfasserlexikon2 , Bd. 5 (1985), Sp. 57f.
45v-71vPs.-Theotimus: Passio Margaretae>Incipit passio sancte Margarete<Post passionem et resurrectionem domini nostri Ihesu Christi …–…
peccata eius et quis[quis]//
Fortsetzung 80r.
BHL 5303;
Piper, Nachträge, S. 334-344.
72r-76rOratio Gregorii
Fortsetzung von 87v.
//[du]rum et lapideum …–…
benedictus in secula seculorum. Amen. Piper, Nachträge, S. 347f.
76r-vCollectaBeatissime virginis Marie et omnium electorum tuorum intervenientibus meritis … Piper, Nachträge, S. 348f.
76v-79vOrationes ad missam>Oratio ad eucharistiam<Rogo te domine per sacrosanctum et vivificum venerandumque misterium …
(79v)
Panis angelorum vivus et verus lux vera et vita mundi …–…
per incarnationem unigeniti tui ut //
Fortsetzung 88r.
Friedrich Wilhelm, Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 12. Jahrhunderts, Abteilung B: Kommentar, München 1916, S. 187-190.
80r-85rPs.-Theotimus: Passio Margaretae
Fortsetzung von 71v.
//[quis]quis inventus fuerit in iudicio terribili …–…
ut in sua nos prece memoretur an te dominum nostrum […] in secula seculorum. Amen.
BHL 5303;
Piper, Nachträge, S. 344-346.
85v-87rOrationes ad NicolaumPeccatrix homuncula tu multum indigens … Piper, Nachträge, S. 346f.
87r-vOratio Gregorii>Oratio Gregorii<Domine deus omnipotens qui es trinus et unus …–…
mollifica cor meum du[rum]//
Fortsetzung 72r. Piper, Nachträge, S. 347.
88r-92rOrationes ad missam
Fortsetzung von 79v.
// cuncta remittas facinora …
Entstehung der Handschrift: Nach Ochsenbein aus dem alemannischen Sprachraum; für die Mariensequenz weist Gutfleisch westalemannische Sprechmerkmale nach.
Provenienz der Handschrift: Im Handschriftenverzeichnis des Klosters Muri von 1790 aufgeführt. Die im 19. Jh. aufgebrachte Meinung, dass Königin Agnes von Ungarn in Königsfelden Besitzerin des Codex war, wobei der Eintrag 63v zu mea agnete falsch ergänzt wurde, lässt sich nicht erhärten; vgl. dazu Amschwand, S. 162. Auf dem vorderen Spiegelblatt auf silbernes Papier geprägtes Konventsiegel S. Martinus prin: monrii Mur: patronus. 1r alte Signatur Cod. 5.23., darüber rot n° 69, hier sowie 95v
Stempel
Convent M. G.
, 19. Jh.
Bibliographie:
Paul Piper, Nachträge zur älteren deutschen Litteratur von Kürschners deutscher National-Litteratur (Deutsche National-Litteratur, Bd. 162), Stuttgart [1898], S. 318-352 (mit alter Foliierung der Hs.);
Elias Steinmeyer, Zum Gebetbuch von Muri, in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur 24 (1898), S. 323-325;
Albert Bruckner, Scriptoria medii aevi Helvetica, Bd. 7: Schreibschulen der Diözese Konstanz. Aargauische Gotteshäuser, Genf 1955, S. 68, Taf. 11-15;
Rupert Amschwand, Zur Bibliotheksgeschichte von Muri, in: Librarium 9 (1966), S. 158–184; S. 160-162 (mit älterer Lit.); auch in: Sarner Kollegi-Chronik 29 (1967), S. 33–70;
Georg Germann, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 5: Der Bezirk Muri, Basel 1967, S. 429;
Peter Ochsenbein, Das Gebetbuch von Muri als frühes Zeugnis privater Frömmigkeit einer Frau um 1200, in: Gotes und der werlde hulde, hrsg. von Rüdiger Schnell, Bern 1990, S. 175-199 (mit detaillierter Aufgliederung des Inhalts, Bl. 72-88 mit alter Foliierung);
Jeffrey F. Hamburger, Frauen und Schriftlichkeit in der Schweiz im Mittelalter, in: Susann Bieri und Walther Fuchs, Bibliotheken bauen. Tradition und Vision. Basel 2001, S. 97f.