Kurzcharakterisierung:Sommerteil des so genannten Hartker-Antiphonars: Gesänge der St. Galler Mönche während des Stundengebets, geschrieben und mit feinsten Neumen versehen vom St. Galler Mönch und Reklusen Hartker: Graphisches Meisterwerk in Schrift, Neumen und Initialzeichnung. Wichtigste aller mittelalterlicher Choralhandschriften mit zwei herausragenden kolorierten Federzeichnungen(smu)
Standardbeschreibung: Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 499-502, Nr. 143.
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Zusätzliche Beschreibung: Scherrer Gustav, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 133.
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Online seit: 12.06.2006
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 391
Pergament · 264 pp. · 22 x 16.5 cm · St. Gallen · um 990-1000
Antiphonarium officii
Wie zitieren:
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 391, p. 91 – Antiphonarium officii (https://www.e-codices.ch/de/list/one/csg/0391)
Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 499-502, Nr. 143.
Seiteneinrichtung:
Schriftspiegel 15,7 x 13,5 cm, einspaltig zu 17 Zeilen, Bildspiegel 18,5 x 15,5 cm
Schrift und Hände: Karolingische Minuskel, geschrieben und illuminiert von Hartker.
Musiknotationen: neumiert
Buchschmuck: Titel u. Lektionsdaten in Rustica mit Minium, ebenso die kapitalen u. unzialen Majuskeln A(ntiphona) u. R(esponsorium). Zum Advent u. zu Ostern Initialzierseiten in Minium mit Ligaturen, zu einigen Anfängen von Gesangsgruppen, Herren- u. Heiligenfesten Initialen in Minium, Dedikations-, Autoren- u. christologische Bilder in Purpur- u. Miniumfederzeichnung kontrastierend, teilweise lavierend, sowie Grün, teilweise ebenso, Pergamentaussparung.
p. 23>In parasceve. In I. noct.<A. Assisterunt reges terrae
p. 25>Ad matutinam.<A. Proprio filio suo non pepercit Deus
p. 26A. Cum accepisset acetum dixit consummatum est et inclinato capite tradidit spiritum hλoy. hλoy λama cabakθani. Deus meus, Deus meus ut quid me dereliquisti
p. 27
Kreuzigung: das Kreuz als Vortragekreuz mit Dorn, eingesteckt in den Bildrahmen, das Lendentuch Jesu entsprechend der Körperhaltung mit dem rechten Standbein etwas rechts geknotet, das Haupt mit offenen Augen zu Maria geneigt, die ihre Linke in Trauer an die Wange legt, Johannes zur Linken Jesu, fasst mit der Linken sein rechtes Handgelenk, oben die Mondsichel u. der Stern über der Sonne, im Rahmen perspektivischer Mäander mit Dreipunktverzierung
p. 31>Vigilia sci. Paschae ad vesp.<A. Vespere autem sabbati quae lucescit
p. 32>Dom. sca. Paschae.<A. Ego sum qui sum. … A. Postulavi partem. … A. Ego dormivi et somnium
p. 33
Osterbild: die drei Frauen kommen mit Weihrauch u. Salbgefäßen zum Grab, dessen Tür weggesprengt ist. Der Engel sitzt darauf u. spricht zu ihnen (Fürchtet euch nicht... . Mc 16,6-7). Die ganze Bildhöhe nimmt das Römergrab mit quadratischem Hauptraum, Kuppel, auf der zwei Wächter schlafen, u. Tambour ein, durch die von einer Arkade überfangene offene Tür sieht man die « Linnentücher » (Io 20,5-6), mit denen der Leichnam umwickelt war. Im Rahmen stilisierter Akanthus.
p. 34
Initialzierseite R(esponsorium) a(ngelus Domini) mit unzialem a, dessen oberem Ende ein Hundskopf entwächst, die Initiale eingebaut in drei Zeilen mit den kleineren Initialen R u. N, GELUS u. DOMINI, die Buchstaben durch enges Flechtwerk miteinander verbunden, das in an Fäden hängenden Drei-, Lanzett- u. Sichelblättern endet, Sporangien, einige Initialen ineinander hängend (OM, IN), US in Ligatur, die nachfolgenden 2 Zeilen Descendit de caelo et accedens in Capitalis mit unzialem Anfang d., auch über den Initialen u. kapitalen Zeilen Neumen
p. 35Revolvit lapidem et super eum sedit et dixit. V. Angelus Domini locutus est
p. 37>In die resurrectionis ad processionem.<A. In die resurrectionis
p. 58>In nataliciis scor. infra Pascha.<Beatus vir qui metuit Dominum
p. 109-110
Ergänzungen (12./13. Jh.).
In decollatione s. Ioh. bapt.
p. 166
Beginn des Commune sanctorum.
>In vigil. omnium apostolorum ad vesp.<
p. 201>Responsoria de libro regum D(eus omnium exauditor)<
p. 217>Responsoria de Hester D(omine rex omnipotens)<
das äußere Band des Schaftes löst u. überkreuzt sich, zum Binnenmotiv wachsend
p. 222>Responsoria de prophetis V(idi Dominum sedentem)<
getreppter linker Schaft, das von einer Schnalle zusammengehaltene Binnenmotiv entwächst oben den Schäften
p. 232>Incipiunt antiphonae dominicis diebus. Dominica I. post Pentecosten D(eus caritas est)<
Die Hs. wurde im 12./13. Jh. im Zuge der Ergänzungen in die Teile Sang. 390 (pars hiemalis) u. Sang. 391 (pars aestivalis) getrennt. Nach dem Dedikationsbild auf p. 11, in dem der Reclusus Hartkerus dem hl. Gallus das Buch überreicht, wurde Hartker traditionell als Schreiber u. Illuminator des Werkes betrachtet. Die Annales Sangallenses maiores in Sang. 915 (MVG 19, 1884, 296 u. 304) sowie der Liber benedictionum Ekkeharts IV. (um 980 - um 1060) berichten über ihn (cap. XLIV, 26-34: Ed. Egli MVG 1909, 226f. Abb. bei Chroust, I. Abt., II. Bd., Liefg. XVI, Taf. 6a). Hartker war Mönch in St. Gallen und bezog als Rekluse die verlassene kleine Zelle der Klausnerin Bertrada in St. Georgen (bei St. Gallen), in der er für das Kloster Bücher schrieb, er starb 1011. Möglicherweise fällt seine Mitarbeit am Sakramentar-Teil in Sang. 339 (Nr. 142) noch in die Zeit vor 980; das Graduale in Cod. 339 steht dagegen Sang. 390/391 so nahe, dass er es als Rekluse geschrieben, neumiert u. geschmückt haben könnte. Chroust datiert das Antiphonarium officii aufgrund seiner Übereinstimmung in der Schrift mit dem Breviarium missae (Teil III) in Sang. 339 in die Jahre 993-997 (vgl. MGH SS II, Tab. III, S. 11).
Die Kunst Hartkers ist die logische Fortsetzung der in Handschriften wie der Wolfenbütteler Viten-Sammlung 17.5 Aug. 4° (Nr. 127) fassbaren spätkarolingischen St. Galler Buchkunst. In den so noch nicht dagewesenen u. einmaligen Buchstabenbildern des A(spiciens) p. 15 in Sang. 390 u. a(ngelus Domini) p. 34 in Sang. 391 zeichnet sich ein Höhepunkt der ottonischen St. Galler Buchkunst ab, der durch vollkommene Harmonie aller Elemente makellos erscheint. Ebenso strahlen die in purpurner u. miniumfarbiger Feder gezeichneten, mit Lavierungen auch in Grün verstärkten Bilder Ruhe, zugleich aber asketischen Verzicht aus. Dem entspricht die klassizistische Bildkomposition u. Linienführung, die, jede Dramatik vermeidend, den benachbarten Text abgeklärt zur Grundlage nimmt (vgl. Sang. 391, p. 26-27). Das gilt auch für das Gregorbild (Sang. 390, p. 13), das gleichsam aus den auf der gegenüberliegenden Seite geschriebenen Versen über Papst Gregor den Großen (590-604) entwächst. Hartker hält sich nicht an den in St. Gallen bekannten Text der Vita Gregorii des Johannes Diaconus Romanus (825-880), nach der der päpstliche Diakon die Inspiration Gregors bei der Deutung des Buches Ezechiel durch Lüften des Vorhangs belauschte, sondern setzt eine für das Gesamtwerk des Autors gültige Darstellung ins Bild, die gleichsam aus dem gegenüberliegenden Text erwächst. Vgl. Nr. 142.
Joachim Prochno, Das Schreiber- und Dedikationsbild in der deutschen Buchmalerei, Leipzig/Berlin, 1929, S. 21
Bruckner III, S. 47, 101, Taf. XLVIII
Ephrem Omlin, Hartker von St. Gallen, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 25. 1931, S. 226-233
Emil Schlumpf, Quellen zur Geschichte der Inklusen in der Stadt St. Gallen (MGV 41 [42]), St. Gallen 1953, S. 4f.
Knoepfli, Kunstgeschichte I, S. 66-67
Jacques Froger (Hrsg.), Antiphonaire de Hartker (Paléographie musicale II, 1), Bern ²1970
Anton von Euw, Gregor der Große (um 540-604). Autor und Werk in der buchkünstlerischen Überlieferung des ersten Jahrtausends, in: Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde N.F. XI, 1984, S. 19-41, bes. S. 36 Abb. 13
Hoffmann, Buchkunst, S. 89
Godehard Joppich (Hrsg.), Die Handschriften St. Gallen Stiftsbibliothek 390/391: Antiphonarium officii Hartkeri (Monumenta Palaeographica Gregoriana 4), Münsterschwarzach o. J.
Peter Ochsenbein, Karl Schmuki, St. Galler Heilige (Ausstellungskatalog Stiftsbibliothek), St. Gallen 1988, S. 55f.
Duft, Die Abtei St. Gallen I, S. 116f., Abb. 12, 13, S. 249f.
CMD-CH III, Nr. 751-752, S. 293, Abb. 761
Karl Schmuki, in: Cimelia Sangallensia, Nr. 54
Arlt, Liturgischer Gesang, in: Kloster St. Gallen, S. 142, 144
von Euw, in: Kloster St. Gallen, S. 194, Abb. 93
Johannes Duft, «Kostbar ist der Tod». Tröstliche Geschichten vom Sterben im Mittelalter, St. Gallen 2002, Abb. S. 143-146
Berschin, Eremus und Insula (2005), S. 21, 82, 84, 103, 168, Abb. 13