St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang 500
Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 2: Abt. III/2: Codices 450-546: Liturgica, Libri precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 166-170.
Handschriftentitel: Brevier des Cölestinerordens
Entstehungsort: Johannes Mouret von Amiens
Entstehungszeit: 14 Jh.
Beschreibstoff: Pergament. Dem Kleinformat der Hs. entsprechendes, sehr feines Pergament erster Qualität.
Umfang:
326 Folia
Format: 7 x 5,5
Seitennummerierung: Tintenfoliierung des 19. Jhs. bis f. 124, ergänzt durch neue Bleistiftfoliierung. Beginn der Horen fehlende illuminierte Blatt f. [20 ] ev. erst im 19. Jh. herausgerissen. Die Foliierung überspringt nach f. 99 ein Folium, jetzt 99a.
Lagenstruktur: Bindung in regelmässigen Quaternionen; die nicht zahlreichen Unregelmässigkeiten ohne Strapazierung der
kompakten Bindung nicht verifizierbar. Feststellbar IV[-1]288-295, III[-1]320-324, das letzte Blatt herausgerissen, Vor- und Nachsätze des Binders II1-3, 325-327 plus die beiden Spiegelblätter. Reklamanten ab Ende der vierten Lage, sichtbar f. 35v-106v, f. 129v vermutlich bis Schluss, f. 177v-193v an-, ab f. 209v weggeschnitten, ausser f. 232v, 248v, 264v, ab f. 287v wieder vorhanden.
Zustand: f. 138rv ist auffällig abgeschabt, aber nicht radiert.
Seiteneinrichtung:
Einspaltig 5/5,5 x 4, im einleitenden Officium Visitationis B. M. V. 23-25, im Hauptteil 22 Z.
Schrift und Hände:
- Das kleinstformatige Taschenbrevier ist minutiös kalligraphiert in 1- 2 mm hoher gotischer Buchschrift, mit engstem Zeilenabstand und sorgfältig ornamentiert. Als Schreiber darf gelten Frater Johannes Mouret de Ambianis (i. e. Amiens); er figuriert in drei Einträgen in blauer und roter Tinte: Frater Johannes (...) [ein Wort radiert] de ambianis, f. 211v, am Schluss des Proprium de Tempore; sodann Frater Johannes Mouret de ambianis, Johannes Baptista, f. 271v, rot und blau, am Schluss des Proprium de sanctis; ferner Jhesus Maria. Johannes Baptista [rot]. Frater Johannes [blau, gefolgt von Rasur], f. 319v, am Schluss des Commune sanctorum. Der Eintrag f. 271v ist klar und ohne Rasuren, vermutlich vom radierenden Nachbesitzer übersehen. Der Subskribent war vielleicht auch der Erstbesitzer.
- Stilsichere, trotz kleiner Schrift wohlausgeformte gotische Buchschrift vermutlich von einer disziplinierten Hand, welche f. 41rv fliessend in - freilich buchschriftnahe - Bastarda übergeht. Die von da ab vorherrschende leichte Rechtsneigung, besonders der markanten s- und f-Schäfte endet bei einer Schreibzäsur f. 77r, 4. Z. von oben, wo mit dünnerer Feder eine wieder klar vertikale Gotica einsetzt, ohne Bastardaform der eben genannten Schäfte, anfänglich ohne doppelstöckiges a, das aber ab f. 78r allmählich wieder einfliesst und bis f. 112r gehalten wird; in der dort beginnenden Litanei weicht es wieder dem einstöckigen bis zum Schluss, ohne dass sich aber rechtstendierender Bastarda-Ductus und längere Schäfte einstellen.
Buchschmuck:
- Miniaturen fehlen trotz der hohen Qualität der Illuminierung; ev. war das Recto des grob herausgerissenen f. [20 ] illuminiert, vgl. kolorierte Buchstabenschlaufe auf Blattrest und die Zierseiten f. 122r und 273r.
- Erstklassiger Buchschmuck im klassischen französischen Stil des 13. und 14. Jhs., 2-8-zeilige, rote, blaue und rotblaue Lombarden; alle grösseren sind rotblau variiert und mit erlesenem, kontinuierlich variiertem Fleuronnee ornamentiert. Vereinzelter stets variierter Randschmuck, vgl. f. 181v, 187rv, u. v. a.m., mit federgezeichneter kleiner Frauenfigur f. 188v, Frauenkopf f. 206r, Fabeltiere f. 251v/252r
Einband:
Einband 17. oder 18. Jh., braunes Leder auf Karton, in vergoldetem Streicheisen -Viereck ein kartuschenförmiger Blattkranz mit der Aufschrift F[RATER] IEHAN (VD) GALLIFFET (HD); diese Inschrift folgt dem Besitzeintrag des 16./2 Jhs. (s. u.), ist aber wohl 17.Jh., vielleicht wurde dieser Besitz von dem vorhergehenden Einband abgeschrieben oder in Familientradition beim späteren Neubinden bekräftigt. Von der Mittelschliesse VDK-HDK ist der Bügel verloren.
Inhaltsangabe:
-
4r-18v
[Officium B.M.V., Kalendarium]
- (4r-10v) Officium Visitationis B. M. V. In splendoribus sanctorum refulget …
- (11r-12v) leer.
- (13r-18v) Calendarium. Im Jan. Maurus abb. rot, ebenso Antonius, beide nachgetragen duplex. Im Feb. Scholastica rot, duplex maior, am 15. Translatio Sti. Petri duplex maior, am 19. schwarz durchgestrichen das rote Barbati ep. et conf. Am 7. März Thomas von Aquin von einer kursiven Nachtragshandschwarz eingetragen, mit duplex maior, am 19. von derselben Joseph duplex, am 21. von der Haupthand Benedikt duplex maior, mit der Oktav semiduplex maior, die Nachtragshand erhöht auf duplex. Im April zum Markustag von der Anlagehand Hinweis auf die Letania maior und ein Vers zum Frühlingsbeginn: Sicut [?] Lux domini sicut [?] et solemnia marci sat iemnando processio luce sequenti. Am 9. Mai unklarer Eintrag betreffend Gregor [von Nazianz] von der Nachtragshand, am 19. Mai Petri celestini [de Murrone, Papst Cölestin V., † 1296] duplex maior, mit Oktav semiduplex maior, am 20. von der Haupthand Eustacii et sociorum, deren Fest allgemein nur Nov. 2 (und var.),kein Variantendatum im Mai, in BHL kein Eustachius und Eustasius im Mai, bei Grotefend, Zeitrechnung 11/2 (1892 - 1898), p. 97, figuriert zum 20. Mai Eustasii m., mit Vermerk: Camaldulenser; in unserem Kalendar dürfte angesichts des für den geläufigen Eustachius des 2. Jhs . üblichen Zusatzes der Socii eine Verwechslung vorliegen; die Nachtragshand des 16. Jhs. hat den Eintrag gestrichen. Am 27. Mai die seltenere Sta. Restituta, mit brauner Tinte von der Anlagehand. Am 6. Juni Vincentii et Benigni mm. durchgestrichen, darüber Sancti [?] Audii [Claudii] Ep. dicto [?] com. [memoratio], von der Nachtragshand des 16. Jhs., welche am 14. Basilius nachträgt, die braun eingetrage nen Nicander et Marcianus am 17. gestrichen. Am 2. Juli Processus et Martinianus gestrichen zugunsten der nachgetragenen Visitatio B. M. V., am 8. Procopii m. gestr., am 13. Juli Margareta rot, gestr., am 26. Anna nachgetr., Pantaleon am 28. gestr., aber mit Vermerk (ev. subsidiär), nur mit Commemoratio, zum 28. Septem dormientium nachgetr., nur Commemoratio (am 9. Aug . sind sie gestr.). Am 5. Aug. Dominicus nachgetr. mit duplex, am 12. Clara . Assumptio B. M. V. ist duplex maior, am 18. (17.?) Mammes nachgetr. Am 2. Sept . Zenon [ep.] et filiorum eius gestr. (bei Grotefend, p. 34, nur Diöz. Chur, ohne filii, bei BHL mit sociis), am 29. Dedicatio Sti. Michaelis duplex maior. Am 4. Okt. Franciscus rot, duplex nachgetr., am 10. Dedicatio ecclesie, ohne Nennung eines Patronatsheiligen, duplex maior, mit Oktav (bei Grotefend, p. 85- 87, kein Diözesankirchweihdatum zum 10. X.). Am 3. Nov. Valentini et Hilarii gestr. und ersetzt durch Marcellus ep. et conf., am 10. Martini pape et m. gestr. und durch Commemoratio ersetzt, am 21. Presentatio B. M. V. nachgetr., am 26. Petrus [Alexandrinus] m., mit nachgetr. Commemoratio-Vermerk. Am 2. Dez. Bibiana mit Commemoratio-Vermerk, am 6. Barbara duplex.
- 19rv leer.
-
21r- 112r
[Psalterium feriatum cum antiphonis]
Der Anfang fehlt, da das erste Blatt herausgerissen.-
(21r- 86r)
[Psalmi feriati ad nocturna, laudes et primam.]
Die Wochentage in den Rubriken, Zäsuren in Form von grösseren Init. orn. vermerkenswerterweise ausschliesslich für die Nokturnen, vgl. (35v) zur Feria secunda, (45r) zur Feria tertia etc., (87rv) Divisio Psalmi David. (88r- 103v) [Psalmi hebdomadae ad horas diurnas et vespertinas], (103v- 112r) Cantica feriata.
-
(21r- 86r)
[Psalmi feriati ad nocturna, laudes et primam.]
- 112r-121r Letania [cum officiis variis] Bei den Aposteln ist (112v) St. Johannes als einziger Heiliger der ganzen Litanei zwar nicht anders geschrieben, doch durch vier rote Zier-Quader auf dem Rest der leeren Linie ausgezeichnet; ev. Hinweis auf ein Patrozinium, vgl. auch die zweimalige Invokation des Johannes, freilich Baptista, im Kolophon des Schreibers (s.o.). Im Übrigen keine Auszeichnungen durch Grossbuchstaben oder Rubrizierung. Bei der Auswertung des Heiligenkanons an sich ist erschwerend, dass in der Niederschrift der Litanei selbst sich div. Besonderheiten zeigen; so figurieren bei den Aposteln und Evangelisten auch Barnabas und Martialis, letzterem nach französischer Legendentradition des 8./9. Jhs. eine Apostel-Vita zugeschrieben. Sodann sind bei den sparsam ausgewählten Martyres/Confessores (ibid.) nach Stephan nur die drei altchristlichen Heiligen Lorenz, Vinzenz und Clemens und etwas überraschend Thomas von Canterbury aufgeführt, welcher auch im Hauptoffizium (140r) vorkommt als Episcopus et martyr, dann Firmin, erstmals in französischen Hss. ab Ende des 8. Jhs. erscheinend, in Amiens verehrt, ansonsten als Heiliger, ausser Vermutungen über ein Amiens -Episkopat, unbekannt (vgl. DHGE, Bd. 17 (1971), col. 254 [Jaques Dubois]), sowie noch Johannes und Paul. Bei den Pontifices et confessores (113r), ebenfalls spärlich vertreten, figuriert ein Petrus confessor, gemäss dem Kalendar -Eintrag zum 19. Mai (s.o.) möglicherweise der Cölestiner-Heilige Petrus de Murrone (Cölestin V.), BHL 6733-6757, vgl. aber die ganze Petrus-Auswahl in BHL 6689- 6789 mit weiteren französischen Heiligen des Hochmittelalters. Bei den Mönchen und Eremiten (ibid.) zunächst die benediktinischen Benedikt und Maurus, dann der Mönchsvater Antonius, anschliessend die drei Ordensgründer Bernardus, Franciscus und Dominicus, gefolgt vom Wüstenvater Onofrius. Bei den Frauen (113rv) allenfalls zu vermerken Scholastica (benediktinisch) und, an letzter Stelle von wenigen, Genoveva (Nordfrankreich, Paris).
-
115r-118v
Officium defunctorum.
Ad vesperas antiphona. ... uiuorum [Pergament abgeschabt]. Ps Dilexi. [?], (115v) die Varianten, pro uno homine, pluribus etc., anschliessend das Officium der 7 Horae, mit allen 9 Lektionen. -
118r-121r
Officium B. M. V. dicendum feria sexta.
[Antiphona.] Benedicta tu in mulieribus ..., Psalmi. Domine deus noster. Celi enarrant. Mit grösserer Init.: (118v) Lectio I. Beata virgo maria: quis digne tibi ualeat ..., mit (120v- 121r) längerer Rubrik, (121v) leer. -
122r-319v
Diurnale officium secundum usum celestinorum
Die Gliederung des Inhalts orientiert sich auch an derjenigen der Hs., gemässden grösseren und kleineren Init. orn .
-
(122r- 211v)
[De tempore.]
Sabbato primo in adventu. Fratres scientes quia hora est iam nos de sompno surgere ..., mit (123r) dem Hymnus Vox clara ecce intonat, (124v) Collectae in diebus privatis. Kurzgebete zum Hl. Geist, zur B. M. V. sowie De sto. Petro celestino, sto. Benedicto, (125v) Hymnus. Verbum salutis omnium patris ab ore prodiens, nach dem 2. Advent (128r) Rubrik Super festum sti. Ambrosii. Im ersten Weihnachtsoffizium ist (133v) eine Antiphon am untern Rand zeit genössischnachgetragen, anschliessend ususgemäss auch im Temporale die Heiligen (137r) Johannes Evg., (139r) Innocentes, (140r) Thomas von Canterbury, zu diesem s.o. Litanei, neben Silvester (140v) auch eine Oratio zu St. Basilius. In der Epiphanie-Oktav erscheint (149v/150r) die Rubrik: Commemoratio fundatorum nostrorum et omnium fratrum familiarium etc., ohne weitere Angaben.
(154r) [Antiphonae ordinis et de diversis.] De beato Petra celestino, (154v) De sto. Benedicto, folgen die Themen de Pace, (155r) de Trinitate. Der Zyklus De Tempore fährt weiter mit (157r) Dominica 2a post 8vam Epiphaniae, zur Vorfastenzeit (158r) eine grössere Rubrik, anschliessend Septuagesima, (162v) Quadragesima mit grösserer Rubrik, (174r) Sabbato in passione, mit längerer Rubrik für die Karwoche, (178v) Sabbato in ramis, mit lnit., (184r) Dominica secunda Paschae, mit lnit., (191v) Ascensio, (194v) Dominica secunda Pentecosten, (197v) Trinitatis, (199v) Fronleichnam. -
(212r-271v)
[Proprium de sanctis.]
(212r) Andreas, 30. Nov., mit grosser Init. orn ., (221) Translatio sti. Petri Celestini duplex maior, (222v) Barbati ep., (223r) Beatissimi patris nostri Benedicti duplex maior, (234v) In festo sti. Petri Celestini duplex maior, (244r) zu Martialis, von der Haupthand nicht besonders ausgezeichnet, notiert die Nachtragshand einen kurzen Hymnus O princeps patrum o Martialis speculum, (262r) Dedicatio ecclesie. Das Proprium de sanctis endet mit sti. Saturnini et Sisinni (271v) am 29. Nov., gefolgt vom Kolophon des Schreibers (s.o.), (272rv) leer. -
(273r-319v)
[Commune sanctorum].
Beginnt mit dem Natale apostolorum, endet mit (317r) Unius virginis non martyris, anschliessend Kolophon (s.o.).
-
(122r- 211v)
[De tempore.]
-
320r-324r
Nachtrag [Partes Breviarii: Omelie, Lectiones et orationes de apostolis].
(320r) In sancti Thome ap. secundum loh., (321r) Sti. Apollinaris secundum Luc., (322r) Sti. Dionysii secundum Matth., (322v) Simonis et lude secundum Matth. (324r) Tu autem domine. Explicit. Folgt der spätere, teils radierte Besitzeintrag (s.o.). (324v) Notiz der Nachtragshand des 16. Jhs. betr. einer Brevier- Rubrik. (325r-327v) leer.
Entstehung der Handschrift: Der Band stammt aus Frankreich, wohl aus einem Cölestinerkonvent. In oder für ein Kloster dieses Ordens dürfte das Bändchen auch geschrieben worden sein, s.o . zum Eintrag des Frater Johannes de Ambianis.
Provenienz der Handschrift: Weitere Besitzeinträge f. 4r: F [?]Joannis ... 1579, nach Johannis folgt Rasur, Spuren von »Galliffet« nicht auszuschliessen, Hand des endenden 16. oder beginnenden 17. Jhs. In Textualis am Schluss der Hs. f. 324r: Ffrater J. Sallargon, der Familienname radiert, noch lesbar, auf der fortfahrenden längeren Rasur fährt eine kursive Hand fort: ... dedit mihi [?] ... [zwei Wörter unleserlich auf Rasur] ... fratri joann ... dicto [?] gallifet [?] Coelestinorum Jndign ..., also offenbar noch im 16. Jh. in Cölestiner-Besitz. Die Einträge f. 324v sind nur Federproben liturgischen Inhalts.
Erwerb der Handschrift: In StiBSG spätestens seit Mitte 18. Jh., wegen alter Signatur S. n. 499 f. 1r.