St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 737
Lenz Philipp / Ortelli Stefania, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 3: Abt. V: Codices 670-749: Iuridica; Kanonisches, römisches und germanisches Recht, Wiesbaden 2014, S. 273-276.
Handschriftentitel: Kanonistischer Sammelband
Entstehungsort: Pavia
Entstehungszeit: 1474-1476
Frühere Signatur:
D.n. 8
Beschreibstoff: Papier
Umfang:
382 Seiten. Buchblock 193 Blätter.
Format: 34/35,5 × 24
Seitennummerierung: Paginierung I.v.A. 1–175, 171a–175a, 176–382.
Lagenstruktur:
Die Handschrift besteht aus 2 gleichzeitigen Teilen: Teil I p. 3–349; Teil II p. 350–382.
Einband:
- Einband des 17./18. Jh. Gesprenkeltes Papier auf Pappe, Rücken und Ecken aus Leder. Heftung auf 4 gespaltene Lederbünde. Zwischen p. 2 und 3 ist der Heftfaden (von Bund zu Bund gehend) einer verloren gegangenen ersten Lage oder eines Vorsatzes sichtbar, möglicherweise wie er bei Cod. Sang. 738 und 739 noch erhalten ist. Wahrscheinlich nicht mehr verwendete Heftstellen einer früheren bzw. provisorischen Heftung sichtbar z. B. ca. 5 cm von unten im Falz p. 16/17 und 38/39. Rückenhinterklebung knapp sichtbar, beschrieben in karolingischer Minuskel und frühgotischer oder gotischer Minuskel.
- Pergamentene Falzverstärkungen in den Lagenmitten: p. 16/17 (Urkunde, deutsch, Ende 14./15. Jh. … bar mit disem brieff. Als mir dann den erbern und andechtigen schwöstern des huβes bÿ Túffen [huβes bis Túffen durchgestrichen] bÿ dem koff des hus, hofstatt und hofraite (?) und nemlich ir gerechtegkait daran mit aller zuͦgehord zuͦ Sannt Gallen in der statt an Schmidgassen zwischend Wilhelmen Magers und Ulrichenn … [Es dürfte sich um die seit 1381 bestehende Schwesterngemeinschaft in Wonnenstein, Teufen AR, handeln, vgl. Helvetia Sacra 5/2, S. 1104]), p. 76/77 (Urkunde, deutsch, Ende 14./15. Jh. … nachbenempten Hannβli (?) unnd Cuͦnrat die Wettach … búrger zuͦ Sannt Gallenn … ), 179/180 (leer), 279/280 (leer), 375/376 (beschrieben).
- Vorderes Spiegelblatt (vor p. 1) und Vorsatzblatt (p. 1/2) sind ein Doppelblatt aus Papier des 17./18. Jh., p. 1 mit Inhaltsangabe von Pius Kolb: Varia Juris excerpta Joannis Bischoff Monachi S. Galli. Die 4 gespaltenen doppelten Lederbünde, die Rückenhinterklebung und die Urkundenmakulatur mit Erwähnung des Schwesternhauses zu Teufen (wie in Cod. Sang. 738 und 739) zeigen klar, dass die Hs. zur gleichen Zeit (wohl letztes Viertel 15. Jh.), am gleichen Ort (wohl in St. Gallen), vielleicht ebenfalls als flexibler Einband wie Cod. Sang. 738 und 739 gebunden worden war, bevor sie den jetzigen Einband erhielt.
Zusatzmaterial:
- Zwischen p. 265/266 ein loser Papierzettel (8 × 5,5) mit Inhaltsangabe von Jodocus Metzler gefunden: 344 Raymundus Cardinalis de diuinis officiis, ligata et soluta oratione. MS In summis; die Inhaltsangabe könnte sich auf die Summa de summula Raimundi beziehen, welche in der Stiftsbibliothek mehrfach überliefert ist;
- p. 315/316 ein loser Papierzettel (23 × 20,5) gefunden, mit einer deutschen Abschrift wohl aus der 2. Hälfte des 15. Jh., nicht von Johannes Bischoff. Es handelt sich um eine Antwort der Visconti, Herzöge von Mailand, an den Abt von St. Gallen, es habe in Massino (Massino Visconti am Lago Maggiore) nie eine Abtei gegeben und die Abtei St. Gallen habe dort nie Rechte besessen (vgl. Steiner, Ratpert, S. 49–50 mit Anm. 161, S. 232–233 mit Anm. 406). Darauf zudem Notiz von Ildefons von Arx: Viscontii negant in Massin abbatiam extitisse. Beide Dokumente jetzt dem Codex in einem Umschlag beigegeben.
Entstehung der Handschrift: Gemäss Schrift, Marginalien, Wasserzeichen (davon einige identisch in Teil I und II, ebenso in Cod. Sang. 738 und 739, s. u.), Einrichtung und inhaltlichen Parallelen in Cod. Sang. 738 wurde Teil I von Johannes Bischoff während seines Studiums an der Universität Pavia 1474–1476 geschrieben und der gleichzeitig oder unmittelbar zuvor geschriebene Teil II von ihm dort erworben. Johannes Bischoff war Konventuale der Abtei St. Gallen (ca. 1460–1495) und Doktor des Kirchenrechts.
Erwerb der Handschrift:
In der Klosterbibliothek wahrscheinlich seit dem Tod von Johannes Bischoff, sicher seit 1553–1564, gemäss Stempel D. B. (p. 375). Besitzeintrag von Hermann Schenk p. 3: Liber S. Galli. Inhaltsangabe von Pius Kolb p. 1 (s. u.). Alte Signatur Pius Kolb p. 1: D.n. 8.
Bibliographie:
- CMD-CH 3, S. 297 (Lit.), diese Hs. aufgeführt, jedoch fälschlicherweise der ganze Band der Hand Johannes Bischoffs zugewiesen.
- Zu Johannes Bischoff siehe Henggeler, Professbuch, S. 239–240;
- Staerkle, Beiträge, S. 92–99, 191–192.
Beschreibstoff: Wasserzeichen: p. 3–249 4 verschiedene 8-blättrige Blumen vom Typ Piccard, Bd. 12, Abt. 2, Nr. 787 (Oberitalien; davon eines identisch in Teil II, Cod. Sang. 738, Teil II, Cod. Sang. 739, Teil III, IV, VII, ein weiteres identisch in Teil II und Cod. Sang. 738, Teil II, III, ein weiteres identisch in Cod. Sang. 738, Teil I), p. 250–349 mindestens 2 Buchstaben S vom Typ Briquet 9050 (Pavia 1468–1473) und Piccard-online 29587–29589, davon eines stark verbogen.
Lagenstruktur: (VI+1)3–28 + V48 + IV64 + (VI+1)90 + V110 + IV126 + V146 + VII174 + 9 V349; zwischen p. 2 und 3 fehlt eine Lage (evt. Textverlust), p. 13/14 ist ein kleines Einzelblatt (13 × 18,5), p. 79/80 ist ein kleines Einzelblatt (8,5 × 20), p. 65/66 und 89/90 sind ein leeres kleineres Doppelblatt (Blatt je 35 × 15,5). Lagenzählung zu Lagenbeginn unten links: a (3), b (29), c (49), d (67). Reklamanten am Lagenende unten rechts p. 28, 110, 126, 146.
Seiteneinrichtung:
Schriftraum einspaltig, unregelmässig, schräg und stark variierend, ca. 27–32,5 × 18, bis 69 Zeilen, auf der linken Seite begrenzt durch die erste von bis zu 3 vertikalen Blindlinierungen.
Schrift und Hände: Flüssige jüngere gotische Buchkursive, teilweise mit Schleifen, von Johannes Bischoff (vgl. Cod. Sang. 705 und 739), in hell- und dunkelbrauner Tinte.
Buchschmuck: Lemmata meistens in leicht grösserer, häufig der Textualis ähnlicher Schrift, entweder in den Textblock eingelassen oder abgesetzt, manchmal eingerahmt. Gelegentlich Kopfzeile mit Angabe der Tituli der Decretales Gregorii IX. oben rechts bzw. links.
Spätere Ergänzungen: Marginalien: Inhaltsangaben, interne Verweise, Allegationen zu Decretum Gratiani, Liber Sextus, Digesta, Codex, Verweise auf Bal., Bar., Io. An., Panor. [Baldus de Ubaldis, Bartolus de Saxoferrato, Johannes Andreae, Panormitanus bzw. Nicolaus de Tudeschis], Notabilien, Zeigehände sowie längere Ergänzungen (p. 34, 44, 45, ...), davon einige quer zum Haupttext (z. B. p. 58, 230), alle von Johannes Bischoff, in gleicher Schrift und meist in gleicher Tinte wie der Haupttext, selten in anderer Tinte (p. 22, 30, 31, 33, 34, 54, 91, 94, ...).
Inhaltsangabe:
-
3-344
Lectura in librum secundum Decretalium Gregorii IX.
- (3) Möglicherweise fehlt der Beginn. ...// Zu X 2.1. Item autem loquimur in iudicio ubi habito respectu quod sint [oder: fuit?] ibi que assi[mi]lan[t]ur (?) iudicio uel quod habeant aliquem ordinem iudicii tunc inquisitio bene dicitur iudicium ordinarium c. dilecto de sen. ex. in vi [Sext. 5.11.6] Lap. Nisi querimus pleno de studio tunc inquisitio non dicitur iudicium ordinarium quia ibi non est pars que opponat vel requirat …
- (3) Zu X 2.1.1. >De quo< Qui promisit non declinare iudicem, penitere non potest; primus casus. Qui coram iudice non suo promisit in praesentia iudicis stare, iurisdictioni (?) non potest postea declinare, maxime ipso tractante; secundus. Consilium prouinciale de causis episcoporum cognoscere potest; casus tertius. Pactum de non declinando iurisdictione non potest reuocari … Pactum prorogatium iurisdictionis quando iudex non habet aliquam iurisdictionem … Ibi »de quo volt deo«. Quod est nomen proprium uide in c. iii de symo. [X 5.3.3? in … symo. durchgestrichen]. Ibi »Centuriensis«. Quod episcopus de prouincia potest contrari coram consilio potest tamen declinare iii [darüber: dii. oder du.] q. vi c. veniens ad papam (?) … Fallit in deprehenso … Fallit quando debitor est fugitiuus
- (343-344) >Cum causa< Retractatur sententia pretextu inique consuetudinis contra ecclesiam lata. Hoc dicit. Diuiditur in duas [partes]. Ponitur factum prima. Secunda decisio. Secunda ibi »nos autem« …–… Nota quod consuetudo non potest diminuere solempnitatem inductam in alienationem ecclesie et per Io. An. in c. nulli de rebus ecc. non alie. [X 3.13.5].
Beschreibstoff: Wasserzeichen: 2 verschiedene Blumen vom Typ Piccard, Bd. 12, Abt. 2, Nr. 787 (Oberitalien; identisch in Teil I).
Lagenstruktur: IV365 + (V-1)383+1 [oder: V383+3]; p. 366/367 ist wahrscheinlich ein Einzelblatt (die andere Hälfte des Doppelblattes – falls vorhanden – ist unter dem hinteren Spiegelblatt nicht sichtbar), das letzte Blatt (nach p. 381) ist als hinteres Spiegelblatt (oder: die letzten beiden Blätter nach p. 381 als hintere Spiegelblätter) auf den Hinterdeckel geklebt.
Seiteneinrichtung:
Schriftraum zweispaltig, 22,5 × 14,5–15 (6,5), 50 Zeilen, seitlich begrenzt durch Blindlinierung, für die Zeilen hellbraune Tintenlinierung, Zirkellöcher am Blattrand.
Schrift und Hände: Flüssige, fast schleifenlose jüngere gotische Buchkursive von einer Hand (identisch in Cod. Sang. 738, Teil II, p. 204–240, 269–447b), in dunkelbrauner Tinte.
Buchschmuck: Lemmata in leicht grösserer, der Textualis ähnlicher Schrift, in den Textblock eingelassen. Gelegentlich Kopfzeile mit Angabe der Tituli der Decretales Gregorii IX. oben rechts bzw. links.
Spätere Ergänzungen: Marginalien: p. 355a Eintrag vom Schreiber des Haupttextes: prosequuntur (?) aliqua dicta Inno. et Panor. … de tali … ; die übrigen Inhaltsangaben, Notabilien und Zeigehände in flüssiger jüngerer gotischer Buchkursive, teilweise mit Schleifen, von Johannes Bischoff, in brauner Tinte.
Inhaltsangabe:
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350a-375a
Lectura in librum secundum Decretalium Gregorii IX.
- (350a) Zu X 2.26. >De prescriptionibus. Rubrica< Rubrica de prescriptionibus continuatur ad precedentem hoc ordine. Supra visum est de exceptionibus in genere … [1 Wort] quia exceptio prescriptionis est legittima [sic] exceptio … Queritur primo quid sit prescriptio. Aliqui diffiniunt hoc modo: prescriptio est exceptio ex tempore substantiam capiens que actioni personali vel in rem opponitur …
- (351a) Zu X 2.26.1. >Placuit ut si quisquam< Episcopus locum per ipsum conuersum ad fidem prescribit ipsum spacio triennii, dummodo (?) ecclesia contra quam prescribitur non vacauerit vel ipsius episcopus non fuerit hereticus. Hoc dicit. Diuiditur in tres partes. In prima ponitur determinatio, in secunda limitatio, in tertia alia limitatio. Secunda ibi »si tamen«. Tertia ibi »item si fuerit episcopus etc.«. Nota primo ex textu casum spiritualem in quo de iure canonico habet locum …
- (373b-375b) Zu X 2.26.13. >Ad audientiam ap.< Contra Romanam ecclesiam currit solummodo prescriptio centenaria …–… Notandum etiam ex glossa quod in factis antiquis probatio per scripturam preualet (?) probationi facte per testes c. tertio loco supra de probatis [X 2.19.3].