Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsWettF 9

Bretscher-Gisiger Charlotte / Gamper Rudolf, Katalog der mittelalterlichen Handschriften des Klosters Wettingen, Dietikon-Zürich 2009, S. 107-110.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags (Urs Graf Verlag, Dietikon). Das Copyright an der Handschriftenbeschreibung liegt beim Verlag.
Handschriftentitel: Petrus Comestor; Alexander de Villa Dei; Petrus Pictavensis
Entstehungsort: Basel (?)
Entstehungszeit: zweites Viertel des 14. Jahrhunderts
Beschreibstoff: Pergament
Umfang: 260 Blätter
Format: 30,5 x 21 cm
Seitennummerierung: Neuere Foliierung: 1-VII. 1-250. IX-XI.
Lagenstruktur: 19 VI228 + (VI-2)238 + (VIII-4)250. Nach Bl. 238, Bl. 249 und Bl. 250 je zwei Blätter herausgeschnitten, Bl. 136 Initiale herausgeschnitten. Textverlust. Lagen- und Blattzählung [a1, a2], a3-x1O, x11, wohl 16. Jh., teilweise beschnitten.
Zustand: Über 70 Löcher mit Stickereien in Rosa, Rot, Violett, Blau, Grün, und Gelb gefüllt, vereinzelt Risse mit gleichfarbigen Faden genäht, Bl. 209 Flickstück später herausgetrennt.
Seiteneinrichtung: Tintenliniierung. Schriftraum 20,5-21 x 14, zweispaltig (6,5), 40 Zeilen.
Schrift und Hände: Textualis wohl von einer Hand.
Buchschmuck:
  • Rubriziert, Überschriften rot, die Additiones durch rot-grüne und rot-blaue Fleuronnéstäbe abgetrennt. Kolumnentitel in Rot und Blau. Bei den Kapitelübersichten einzeilige rote und blaue Lombarden mit Fleuronné und Fleuronnéstäben in Rot, Grün und Blau sowie mit Medaillons. Bei den Kapitelanfängen 2zeilige rote und blaue Lombarden mit Fleuronné in den Gegenfarben.
  • Zu Beginn einiger Kapitelübersichten 4zeilige, bei den Buchanfängen eine oder zwei 5-15zeilige rot-blaue, ornamental gespaltene Initialen mit Schaftaussparungen und Fleuronné in den gleichen Farben mit Medaillons in Grün, Rot und Rosa mit Fratzen, Fabeltieren und vegetabilen Motiven sowie mit 2-4seitigen Fleuronnéstäben in Dunkelrot, Blau, Grün.
  • Ab 239r graphische Darstellungen:
    • 239r-244r Stammbaum mit Kreisen für die Namen in Rot und Blau, die Verbindungslinien in Blau, Rosa, Gelb und Grün, die Linea Christi in Rot; die Zeitalter durch grossere doppelte Kreise mit Fleuronné hervorgehoben, 239r im zweiten Zeitalter (Noah) mit Trauben.
      • 239va Arche Noah mit blauen und roten Federzeichnungen sowie roten und gelben Türen,
      • 240rb drei Arkaden in Rot und Grün mit gelben Säulenbasen und Kapitellen mit den Mansiones Israels,
      • 243ra schematische Darstellung von Jerusalem mit den sechs Toren, Raum für weitere, nicht ausgeführte Zeichnungen.
    • 244v schematische Darstellung der dreifach gestuften irdischen Frömmigkeit und ihrer himmlischen Belohnung in Gestalt eines siebenarmigen Leuchters mit Blüten, Blättern und Fabeltieren in schwarzer Federzeichnung mit roten Konturen und gelber Füllung, oben 7 grüne Kelche.
    • 245r ganzseitiger Lebensbaum in Altrosa und Grün, Wurzelansatz und Schriftband INRI gelb, im Zentrum Jesus am Kreuz, darüber Pelikan mit seinen Jungen im Nest in schwarzer Federzeichnung, teilweise gelb, rot, grün und violett laviert, Blätter und Zweige rosa und grün, Früchte rot, zu beiden Seiten blaue Kreise mit den Namen der Propheten.
    • 245v ganzseitiger Cherub mit sechs Flügeln in roter und violetter Federzeichnung, Gesicht braun, Haare gelb, Nimbus rot.
    • 246r-v schematische Bäume in Grün, Früchte rot.
    • 247r-243v Schemazeichnungen mit drei Reihen von senkrecht angeordneten Kreisen in Grün und Rot.
    • 249r 9 konzentrische Kreise in Rot, durch grüne Radien in 8 Sektoren geteilt, aussen 3-5 blaue Kreise zu jedem Sektor, nicht beschriftet.
Spätere Ergänzungen: 171v Korrektur marginal, 14. Jh., 247v Korrekturen, 15. Jh.; vereinzelte Marginalien, 15. Jh., z.B. 12v, 173r.
Einband: Halblederband mit Holzdeckeln, 16. Jh., Leder weitgehend abgerissen. Ehemals zwei nach vorn greifende Kantenschliessen. Spiegel- und Vorsatzblätter (I-III, VI-VII, IX-XI) Papier, (IV-V) Pergament. Wasserzeichen Bl. VI-VII: Turm, ähnlich Piccard XVI 13 (1546-1548); Bl. I-III und IX-XI: Wappen mit zwei steigenden Löwen und Initialen RS, wohl bei der Restaurierung im 18. Jh. eingebunden. Deckel teilweise geschwärzt. Nachträglich angebrachter brauner Lederrücken mit Goldprägung und rotem Titelschild Comestoris historia scolastica, unten Wettinger Bibliotheksignatur Q.I.2 (? ), 18. Jh., sowie Reste eines späteren Papierschilds.
Inhaltsangabe:
  • Ir-IVr leer.
  • IVv Besitzeintrag, sonst leer.
  • Vr-VIIr leer.
  • VIIv Inhaltsverzeichnis, 18. Jh.
  • 1ra-235va Petrus Comestor: Scolastica historia Am oberen Rand: >Historia Ecclesiastica<, 16. Jh. Capitula zu Gn De creatione celi … ...
    • (1va) Prologe >Incipit prologus epistolaris in scolasticam hystoriam<. Reverendo patri ac domino suo Wilhelmo
    • (1vb) >Item alius prologus. De consistorio, cenaculo et thalamo domus regie<. Imperatorie maiestatis est in palacio tres habere mansiones
    • (2ra) Text >Incipit Scolastica hystoria. De creatione celi empyrei et iiiior elementorum. im<. In principio erat …–… 235rb in loco magis honorabili, scilicet in cathacumbis.
    • Den Erläuterungen der biblischen Bücher sind Capitula vorangestellt. 1ra Gn; 30va Ex; 48va Lv; 55vb Nm; 66va Dt; 70va Ios; 75ra Idc, Rt; 83rb I Sm; 93rb II Sm; 101vb III Rg; 115va IV Rg; 132va Tb; 136va Ez; 138rb Dn; 148rb Idt; 149vb Esr; 153rb Est; 159ra I Mec; 165ra II Mec; 171ra Historia evangelica; 207va Act. PL 198, Sp. 1053-1722; Additiones nur zum Teil vorhanden, Einfügungsstellen 06: vom Druck abweichend; zusatzliche Additiones, teilweise abweichende Kapiteleinteilung.
    • (132va) Zwei Zeilen aus Alexander de Villa Dei, Summarium (entspricht 237ra). RB 6543-6565, Hs. erwähnt.
    • (235rb) Anschliessend Zusatz über die Apostel: >Ubi apostoli sepulti sunt. [Cap.] cxxi<. Petrus et Paulus Rome sepulti sunt …–… Clemens in quinto libro Ypotyposeon informationum. >Explicit liber ecclesiastice [historie]. Deo gracias.< BHL 653.
  • 235va-236ra Recapitulatio regum. >Recapitulatio regum<. Cyrus regnavit xxx annis, Cambises vel Nabuchor filius Cyri eidem annis …–… Hic lerusalem junditus evertit.
  • 236ra Versus de quindecim signis iudicii. >Versus quindecim signorum<. Stans mare pro muro montes supereminet omnes
  • 236ra-238va Alexander de Villa Dei: Summarium biblicum metricum cum commentario. >Isti versus sunt super totam bibliam< … . Rex prohibet peccant Abel ; Interlinearglossen mit roten Kapitelangaben: i opera dierum, ii fructum, iii Adam et Eva, iiii occiditur …–… surgunt sponsam venio iam ; Interlinearglossen: xx mortui, xxi ornatam viro suo, xxii dicit sponsus. RB 1178; Walther, Carmina 16757.
  • 238vb Solatium peccatorum. >Solacium peccatorum versus<. Perfidus aspiciat Petrum, predoque latronem, crudelis Paulum … vgl. Walther, Carmina 13982.
  • 239r-244r Petrus Pictaviensis: Compendium historiae in genealogia Christi. Stammbaum von Adam bis Christus.
    • Prolog: Considerans hystorie prolixitatem
    • (239r) Text: Adam in agro Damasceno Jormatus …–… inter diem ascensionis et Penthecostes.
    RB 6778, Hs. erwähnt. Teiledition von 239r in: Philip S. Moore, The Works of Peter of Poitiers, Master in Theology and Chancellor of Paris (1193-1205), Notre Dame, Indiana, 1936, S. 188-196; der Text der Hs. entspricht keiner der drei abgedruckten Fassungen.
  • 244v Tres gradus fidelium. Siebenarmiger Leuchter mit Erläuterung: Tres calami id est tria brachia ex uno latere prodeunt et tres ex alio quia ante incarnationem domini et post tres gradus fidelium fuerunt in ecclesia … Abb. Bruckner, Scriptoria 7, Taf. 39; Moore, The Works of Peter of Poitiers, S. 169; Beer, Beiträge, S. 59, Anm. 128.
  • 245r Lignum vitae. Jesus am Kreuz, als Baum des Lebens mit Blättern und 12 Zweigen gestaltet, oben der Pelikan mit seinen Jungen. Texte: an der Basis des Kreuzes Johannes in apocalipsi: Vidi lignum vite afferens fructus xii … (Apc 22,2); in den Zweigen ius Ihesus ex deo genitus, Ihesus prefiguratus … entspricht weitgehend AH 50 Nr. 381, 2-14; in an den Zweigen hängenden Früchten Originis preclaritas … ; in den Kreisen um den Lebensbaum Moyses … ; unter diesen Kreisen Lignum vite in medio paradysi … ; beim Pelikan Pellicanus dicor: Pro pullis trado meum cor. Abb. Bruckner, Scriptoria 7, Taf. 39.
  • 245v De sex alis Cherubim. Engel mit sechs Flügeln mit der Beschriftung Ius dilectio dei, IIus dilectio proximi, IIIus confessio, IIIIus satisfacio, Vus puritas mentis, VIus mundicia carnis. Texte: im Podest, auf dem der Engel steht Iste Cherub habens sex alas legatur per numerum cuilibet ale asscriptum … in den Flügeln: Omnia propter deum delinquereMoore, The Works of Peter of Poitiers, S. 169; vgl. Distelbrink, Bonaventurae scripta, Nr. 111.
  • 246r Arbor vitiorum. Baum mit sieben nach unten gerichteten Ästen, die Wurzel beschriftet Superbia radix viciorum, darunter: Hec arbor legatur per numerum ramo cuilibet asscriptum. Die Äste tragen je sieben Blätter, der erste Ast ius avaricia mit den Blättern fraus, furta, periuriaDistelbrink, Bonaventurae scripta, Nr. 61.
  • 246v Arbor virtutum. Baum mit sieben nach oben gerichteten Ästen, die Wurzel beschriftet Humilitas radix virtutum, darunter: Hec arbor legatur per numerum cuilibet ramo asscriptum. Die Äste tragen je sieben Blätter, der erste Ast ius prudentia mit den Blättern diligentia, consilium, providentiaDistelbrink, Bonaventurae scripta, Nr. 61.
  • 247r Figura de decem mandatis legis. Drei senkrechte Reihen von je 10 Kreisen. Überschriften: Decem mandata legis, Decem plage Egypti, Decem plebis abusiones. Verse: Walther, Carmina 19669, 14595, 8658. Christiane Laun, Bildkatechese im Spätmittelalter. Allegorische und typologische Auslegung des Dekalogs, Diss. München 1979, S. 148-155, Varianten der Hs. unter der Sigle A.
  • 247v Figura de duodecim articulis fidei. Drei senkrechte Reihen von je 12 Kreisen. Die mittlere, höher gestellte Reihe ist überschrieben mit Duodecim articuli fidei, die Reihe links mit Duodecim prophete, die Reihe rechts mit Duodecim apostoli. Kreis links Jeremias, Verbindungssteg Patrem invocabitis qui terram fecit et condidit celos, Kreis Mitte Deus pater, Verbindungssteg Credo in deum patrem omnipotentem creatorem celi et terre, Kreis rechts Petrus
  • 248r Figura de septem operibus canonicis. Drei senkrechte Reihen von je 7 Kreisen. Die mittlere, höher gestellte Reihe ist überschrieben mit Septem opera passionis, die Reihe links mit Septem hore canonice, die Reihe rechts mit Septem dona gratuita. Kreis links Matutine, Verbindungssteg In media nocte domino psallas homo docteWalther, Carmina 8994 und RH 8683, Kreis Mitte Christus Pylato traditus, Verbindungssteg Audi clamantes in me mortemque minantes, Kreis rechts Auditus
  • 248v Figura de trinitate. Stilisierte siebenblättrige Blume mit je neun Zweigen in einer Vase. Texte: auf der Vase Sic volo, sic iubeo, sic ago iure meoque; darüber Dicit sapiencia; links Illinc natura per me recipit sua iura, rechts Hinc a me varia procedit phylosophia. Darüber links Septem etates: Infans. Insons absque dolo matris fruor ubere solo … rechts Septem artes: Gramatica. Gramatice causa recte loquor absque figura … in der Blüte Sancta trinitas. Omnia compono rego singula cunctaque dispono.
  • 249r Schemazeichnung. Nicht beschriftet.
  • 249v-XIv leer.
Entstehung der Handschrift: Nach der Buchmalerei aus Basel, Beer, Beiträge, S. 28f.
Provenienz der Handschrift:
  • IVv Frater Johannes Crotz conventualis monasterii Maris Stelle alias Wettingen. Costet III flor.; darunter Kreuz mit den Initialen J. C. Zu Johann Kretz, † 1571, siehe oben Einleitung, S. 33.
  • 1r Ascribor bibliothecae beatae virginis in Maris Stella. 1615.
Erwerb der Handschrift: 1r, 29r, 129r, 214r und 248v Stempel Kantonsbibliothek Aargau, 19.-20. Jh.
Bibliographie:
  • Bruckner, Scriptoria 7, S. 119f., Taf. 39;
  • Schönherr, Handschriften, Bd. 2, Nr. 14;
  • Schönherr, Kulturgeschichtliches, S. 113;
  • Alfons Schönherr, Kulturgeschichtliches aus dem alten Wettingen. Aus der Werkstatt des Aarauer Handschriftenkatalogs, Zürich 1955, S. 26f.;
  • Beer, Beiträge, S. 27-29, 40, Kat. Nr. 3, Abb. 49, 51;
  • Hoegger, KDM Aargau 8, S. 361, Abb. 451.