Kurzcharakterisierung:Um 1370 im südalemannischen Sprachraum entstanden, überliefert die Handschrift das Exempelkorpus der „Alemannischen Vitaspatrum“, eines der bedeutendsten hagiographischen Sammelwerke, in seiner ursprünglichsten Form. Im Anschluss ist ein kompilierter Mystiktraktat niedergeschrieben, in welchen unter anderem die Glosse „Von dem überschalle“ eingearbeitet wurde. Die Herkunft der Handschrift ist unbekannt.(stu)
Beschreibstoff: Papier und zwei Pergamentdoppelblätter, die als Aussenseiten der ersten und siebten Lage (Bll. 1 und 14; 71 und 82) dienen. An den Rändern stark abgegriffen. Bl. 51 und 70 teilweise herausgerissen mit Textverlust.
Umfang:
1 Band (94 Blätter)
Format: 28,5 x 19,5 cm
Seitennummerierung: Moderne Foliierung: 1-94
Lagenstruktur: 94 Blätter in 8 Lagen zu 14, 12, 12, 12, 12, 8, 12, 12 Blättern. Lagenformel: VII14 + 4 VI62 + IV70 + 2 VI94. Die Pergamentblätter 1 und 14 sind offenbar seit alter Zeit an falscher Stelle; Blatt 14 stört den Zusammenhang zwischen Schluss von Bl. 13v und Anfang von Bl. 15r; der Anfang von Bl. 1r, mitten in einem Satz beginnend, ist 8, bezw. 9 Zeilen weit identisch mit dem Anfang von Bl. 15r, die Fortsetzung aber ganz verschieden. Siehe hierzu auch Williams 1996, S. 126*.
Seiteneinrichtung:
Schriftraum: 21,5 x 13,5 cm; zwei Spalten zu 32, gelegentlich auch 33 Zeilen; Breite einer Spalte ungefähr 6 cm.
Schrift und Hände:
Gotische Buchschrift der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts; eine Hand. Die Hand ist auch für die roten Initialen, die Rubrizierungen sowie für die Textverbesserungen verantwortlich.
Buchschmuck:
Die Anfänge der einzelnen Beispiele durch Absatz und rote Initialen hervorgehoben.
Die Verse, soweit solche vorkommen, teils abgesetzt, teils nicht abgesetzt.
Schlichte rote Initialen und Caputzeichen.
Einband:
Zeitgenössische Holzdeckel mit schadhaftem Lederrücken; die zwei Schliessen sind abgerissen.
1ra-81vbVitaspatrum-Exempel// sien zwei bilde. berespe ich | min bilde. so wirt mines | bruͦder bilde gar erbere schi|nende. vor mir. lob ich mich | selber. so muͦs er mich böser | tunken. Swer sin selbes | bresten nút war nimet der | versmachet vil heilige lúte. Synclesius hies einer | der widerseite der welte | … 2ra Sisoi hies ein | abet. Den vra|gete ein bruͦ|der wie er in | siner zelle leben solte …–…
ich halbe tragen. Also hat | in der junge versuͦchet | und beleib bi ime
Eigentlicher Textbeginn auf 2ra, da Anfang verbunden
- Leithandschrift für die Exempla der "Alemannischen Vitaspatrum" in der Edition von Williams 1996: Sigle: Bs1
83ra-94vbKompilierter MystiktraktatUnser herre got | sprach. du solt dinen | herren got minnen | von allem dinem herzen von | aller diner sele. von allem | dinem gemüte. Dü minne | von allem dinem herzen ist ge|meine. die můs ein iekli|ch münsche han …–…
Got | gebe si uns lichteklich zer|kennen und helf uns das wir | in widerstan müssen als es gottes | lob und er si und unser selikeit | mit gotte. Amen.
Auf 90ra-92vb ist die Glosse "Von dem überschalle" eingeschoben: vgl. Ruh (1984), S. 146 Anm. 10
Provenienz der Handschrift:
Ursprung unbekannt, aber vermutlich Basel. Vgl. Williams 1996, S. 127*: Auf dem vorderen Spiegel steht eine Federprobe aus dem 15. Jahrhundert: “Johannes de Prisaco episcopi Ba[si]liensis anno domini millesimo … ” (Rest überklebt); ein Johannes de Brisaco (von Breisach) ist im Basler Dominikanerkloster 1402 als Regens, 1416-19 als Prior bezeugt. Auf dem hinteren Spiegel steht eine weitere Schriftprobe: “wir grăf Nibele von Zellenberg geboren von Brestenberg”; hierbei dürfte es sich um die Pfarrei Zellenberg bei Ribeauville (Elsass) handeln, die auch zum Bistum Basel gehörte. Auf Bl. 82v steht der Eintrag: “Item Hansz Kesler hat geben IIII [Gulden] minder 1 d”.
Bibliograph. Nachweise
Binz, Gustav. - Die Handschriften der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel / beschrieben von Gustav Binz. Abt. 1, Bd. 1, Die deutschen Handschriften der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel. Abt. A. - Basel : [Universitätsbibliothek], 1907, S. 54-55
Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Basel : beschreibendes Verzeichnis. Abt. B, Theologische Pergamenthandschriften / bearb. von Gustav Meyer und Max Burckhardt. - Basel : Universitätsbibliothek, 1960-1975. - Bd. 2, S. 219-270
Williams, Ulla. - Die 'Alemannischen Vitaspatrum' (Texte und Textgeschichte, 45). - Tübingen, 1996, S. 125*-128*
Literatur
Altdeutsche Predigten und Gebete / aus Handschriften gesammelt und zur Herausgabe vorbereitet von Wilhelm Wackernagel. - Basel : [Verlag nicht ermittelbar], 1876, S. 277 ff.
Textstelle in fast gleichlautenden Worten (ohne diese Handschrift): Meister Eckhart / hrsg. von Franz Pfeiffer. - Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1914, S. 401, Z. 20 (betr. 84va)
Ruh, Kurt (Hrsg.). - Studienfahrt in schweizerische Bibliotheken. - Würzburg, 1980, S. 20
Ruh, Kurt. - Seuse, Vita c. 52 und das Gedicht und die Glosse "Vom Überschall". - In: Ruh, Kurt. - Kleine Schriften / hrsg. von Volker Mertens. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1984, S. 145-168, hier S. 146 Anm. 10. (betr. 90ra-92vb)
Schmitt, Peter. - Art. Von dem überschalle, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 9, Berlin-New York 1995 (ohne diese Handschrift) (betr. 90ra-92vb)
Edition nach dieser Handschrift als Leithandschrift: Williams, Ulla. - Die 'Alemannischen Vitaspatrum' (Texte und Textgeschichte, 45). - Tübingen, 1996, S. 213-431 (betr. 1ra-81vb)
Löser, Freimut. - Meister Eckhart in Melk (Texte und Textgeschichte, 48). - Tübingen, 1999, S. 213 Anm. 366, S. 76 (betr. 83ra-85ra, 85ra-87vb)
Studer, Monika. - Exempla im Kontext: Studien zu deutschen Prosaexempla des Spätmittelalters und zu einer Handschrift der Straßburger Reuerinnen. - Berlin, 2013, S. 288 (betr. 27rb-29ra)