Kurzcharakterisierung:Das Silberne Evangeliar ist im 12. Jahrhundert, vermutlich im oberrheinischen Raum, entstanden. Es wird erstmals erwähnt 1646 im Inventarium Custodiae S. Ursi, s. 48: “Ein altes Evangelij Buoch, dessen Deckhel von Silber“. In Karls des Grossen politischer Konzeption lag die Vereinheitlichung des kirchlichen Lebens nach dem Vorbild der stadtrömischen Liturgie unter Papst Gregor dem Grossen. So entstand als Buch bei der Niederschrift der Evangelien das „Evangeliar“.(gra)
Standardbeschreibung: Schönherr Alfons, Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn, 1964, S. 223-224.
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Online seit: 22.06.2010
Solothurn, Domschatz der St.-Ursen-Kathedrale, Cod. U 2
Pergament · 128 ff. · 27 x 18.5 cm · Oberrheinisch (?) · 12. Jahrhundert
Silbernes Evangeliar
Wie zitieren:
Solothurn, Domschatz der St.-Ursen-Kathedrale, Cod. U 2, f. 68v – Silbernes Evangeliar (https://www.e-codices.ch/de/list/one/dss/U0002)
Solothurn, Domschatz der St.-Ursen-Kathedrale, Cod. U 2
Schönherr Alfons, Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn, 1964, S. 223-224.
Handschriftentitel: Evangeliarium [Lectiones evangeliorum ad dominicas et praecipuas festivitates de circulo anni.]
Entstehungszeit: 12. Jahrh. (um Mitte).
Beschreibstoff: Kalbpergament. (+ VII Bl. Pap.)
Umfang:
109 Bl. (+ VII Bl. Pap.) + II.
Format: 27 x 18,5 cm.
Lagenstruktur:
Nicht signierte Lagen (zumeist Quaternien).
Seiteneinrichtung:
Schriftrahmen und (19) Zeilen blind vorgezogen; Zirkelstiche.
Rote Tintenfoliierung saec. XVI am Oberrand. Unbeschrieben: (94r-96v)
(101) und (102r-106v) . Rote Überschriften (Tagesbezeichnungen).
Schrift und Hände:
Sehr gleichmäßige, verhältnismäßig kürzungsreiche spätkarolingische Minuskel («schrägovaler
Stil») des oberrheinischen Typs von einer Hand.
Buchschmuck: Für jede Perikope kleine schlichte I-Initiale
(In illo tempore) in Gold auf grünem Grund, daneben für den Textbeginn große Goldinitiale
auf farbigem, zumeist mit buntem Rankendekor gemustertem Grund, z. T. auch mit
figuralen und zoomorphen Motiven in der Eigenart des oberrheinischen Stils. Sämtliche Perikopen
mit dem feierlichen Lektionston durchneumiert; Matthäus- und Johannespassion mit
den Passionsbuchstaben (a, c und t).
Spätere Ergänzungen: 94r-109r
Nachträge aus dem 16. und 17. Jahrhundert:
b) (96r) von Hand des Solothurner Stiftskustos Urs Häni: Markusinitium
(wie vorher, unvollendet);
c) (97r-100v) von anonymer Solothurner Hand, datiert 1623:
Initia IV evangeliorum für die Fronleichnamsprozession;
d) (107r-109r) von anonymer Solothurner Hand saec. XVI (Kustos Johannes Franz?): Index Evangeliorum
nach dem Kirchenjahr geordnet.
Einband:
Über stark nach innen abgeschrägten Buchenholzdeckeln Silbereinband (30/20,5 cm)
saec. XVI, der von D. F. Rittmeyer (St. Gallen) wie folgt beschrieben wird:
«Silber teilvergoldet, Buch und Deckel seit 1549 zusammengehörig. Es fehlen die Schließen und mit ihnen
die Zeichen. Die Buchdeckel sind ganzseitig von Silber bedeckt und gegen innen mit je drei
gravierten Silberstreifen sorgfältig geschützt. Vorderseite: Kreuzigung in kräftigem Relief
getrieben, von einem profilierten Rahmen umgeben. Die Jahrzahl (1549) steht über dem
Kreuz. Nicht ganz in den Ecken vier Scheiben mit den geflügelten Evangelistensymbolen,
oben und unten je ein ovaler Kristall in Cabochonschliff mit Grat. Links und rechts je ein
langovales Relief: Jesus und Johannes d. T. als Knäblein mit einem Lamm spielend, und Maria
mit dem Kind; dazu vier spätgotische, knorrige Gußornamente, alles auf graviertem
Rankenornament. Rückseite: ebenfalls Ranken im Übergang von der Gotik zur Renaissance.
Die ganze Deckelfläche graviert mit Darstellung der Verklärung Jesu. Die Wiedergabe ist
gesamthaft noch spätgotisch empfunden, wenn auch möglicherweise dem Goldschmied, der
den Stichel führte, Raphaels Komposition bekannt war.»
Zwei spätgotische Silberschließen (verloren), die Ansätze und die silbervergoldeten Haften erhalten. Rücken dreibündig, mit
rotem Seidensamt überzogen; farbig umstochenes Kapital.
Inhaltsangabe:
Textgeschichte: Die Perikopenfolge gehört in die Deszendenz des Comes von Murbach; sie beginnt
deshalb mit der Weihnachtsvigil, während die Adventsonntage (1. bis 4. Sonntag de
adventu Domini) am Schluß nach der Dominica XXV post Pentecosten gereiht sind. An
Festtagen im alten St. Ursenmünster auch als Instrumentum pacis verwendet, vgl. C. Lang, Grundriß der […] christlich-katholischen Helvetia I (1692) 989 Nr. 33:
«Ein alt Evangelibuch mit einem silbernen Deckel, so man an Festtägen zum ,Pacem' gebraucht.»
Kurz erwähnt bei L.R. Schmidlin, Die Solothurner Schriftsteller von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. I. Teil: Zeitschrift für Schweitzerische Kirchengeschichte (ZSKG) 2 (1908), 166. - Codex argenteus.
1.
(Bl. 1r-71v)
Proprium de Tempore:>In vigilia nativitatis domini. Secundum matheum [I, 18-21].<C[um esset] desponsata
~
Dominica IIII [de adventu domini] …–…
ubi erat iohannes baptizans.
2.
(72r-84v)
Proprium de Sanctis:>De s. Marco. Secundum marcum [10,25-30].<Facilius est
~
In natale s.Andree. Secundum matheum [4,
18-22] …–…
secuti sunt eum.
3.
(84v-92v)
Commune de Sanctis:In vigilia apostolorum …–…
De virginibus.
Daran:
Im Rückspiegel Verschnitt mit unterem Teilstück aus lateinischem Notariatsinstrument
der Zeit um 1530 (Datierung abgeschnitten), betreffend einen Benefizienstreit des Solothurner
Leutpriesters Simon Mägli (siehe Wackernagel, Matrikel I, 281 Nr.10); gefertigt vom
Notar Bartholomaeus Held (clericus Constantiensis diocesis) in der Johanniterkomturei Hohenrain
in Gegenwart des Komturs Magister Hieronymus Merk (siehe Wackernagel, a. a. O. 322
Nr. 12) sowie der Zeugen Otmar Renftler, Pfarrer zu Hochdorf und Johannes Has, Vogt zu
Rotenburg.
Die vorliegende Hs. ist erwähnt im Inventarium Custodiae S. Ursi von 1646 (Staatsarchiv
Solothurn, St. Ursenstift), Seite 4-8 : «Ein altes Evangelij Buoch, dessen Deckhel von Silber.» Solothurnische
Altertümerkommission, Inv.-Nr. 64.