St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 586
Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 1: Abt. IV: Codices 547-669: Hagiographica, Historica, Geographica, 8.-18. Jahrhundert, Wiesbaden 2003, S. 114-118.
Handschriftentitel:
- Viten der St. Galler Hausheiligen, deutsch
- Sprüche der Altväter
- Aszetisches (deutsch von P. Friedrich Cölner)
Entstehungsort: St. Gallen
Entstehungszeit: 1430-1436
Beschreibstoff: Papier. Wasserzeichen Ochsenkopf, Hornspitzen und obere Hälfte der Stange immer im Falz.
Umfang:
A,B + 494 + Y,Z Seiten
Format: 21,5/22,5 x 15/15,5
Seitennummerierung: Tintenpaginierung I. v. A., nach einer ersten Partie 7-[18a+b] setzt zuerst eine kurze 1-4 ein (eine p. 6 figuriert nach p. [18b] vor der neuen p. 1), dann Rückkehr der alten mit p. 19; die teils verlorene und früher ev. verstellte Eingangspartie ist seit und wegen der Restaurierung von 1970 nicht mehr rekonstruierbar. Anfang einer neuen Bleistiftpaginierung 1-19 p. 7, jedoch entgegen Stocker (s. u.) nirgends eine ältere arabische Foliierung.
Lagenstruktur: Sexternionen; diverse Unregelmässigkeiten sind zufolge Neubindung nicht mehr mit Sicherheit abklärbar. Wortreklamanten von der Haupthand, teils weggeschnitten, teils ev. auch fehlend.
Seiteneinrichtung:
Einspaltig 16/17 x 10/11, 28-30 Z., keine Linierung, nur vier Zirkellöcher pro Schriftspiegel.
Schrift und Hände:
Flüchtige Kursive, nach B. Stocker (s. u.) « oberrheinische Bastarda mit schwäbischem Einschlag », von der Hand Friedrich Colners/Cölners, vgl. Kolophon p. 322: Ich bruͦtder friderich Colner der aller vnnutzeste munch sant gallen bitten vnd vermanen alle die diss leben Sant Gallen vnd sant magnen vnd sant Othmar vnd sant Wibrad lesen oder abschriben werden. daz sy sy mit fliss lesen syent vnd abschriben vnd bass verstanden denn sy getuͦtschet sint won ich von bett wegen vnd liebi myner gaistlichen kind dise leben mit grosser arbeit vß dem subtilen latin zu disem ainfaltigen tutsch do ich dennocht nit gar kundig in bin mit der hilff gottes bracht han vnd begern der gaistlichen hilff daz ist des bettes aller guͦten menschen.
Buchschmuck: Farbig ausgemalte Federzeichnungen, ganzseitig, gerahmt: p. 230 die hl. Wiborada in brauner, innen blauer Kutte mit Schleier, in der Rechten das Buch, in der Linken die Hellebarde, p. 323 St. Otmar in ebensolcher Kutte, im Abtsornat, mit Buch und Fässchen, zu beiden Bildern s. u. Lit.
Spätere Ergänzungen: Eine Nachtragshand des 15. Jhs. schreibt p. 475f., eine solche des 15./16.Jhs. p. 478-491.
Einband:
Einband
15. Jh., rotes Leder auf Holz, erneuerte Lederschliesse HDK-VDK, die Messingöse mit Schachbrettmuster. Miteingebunden als p. 493 f. ein eingelegtes Fragment eines Rechnungsheftes mit Datum 1678. Rest. 1970. Conspectus Franz Buchegger auf vorderem Spiegel.
Inhaltsangabe:
-
[1]-62
Leben sant Gallen
Anfang fehlt. //
… geberti swoͤster sin. der zuͤ den zitten richsnet in Burgundian land …–…
die ding die nach hievor sind ze begriffen an schaden behalte.
Textgeschichte: Stocker (s.o.), p. 13 f.; Stocker Wibrad (1990), p. 26 und 157: Vorlage unserer Hs. ist Cod. 560 (oder dessen genaue Kopie); dazu auch Duft, Bodensee (1982), p. 121. Vide Codd. 588, p. 63; 602, 19a
-
63-117
Wunder sant Gallen
Anfang fehlt. //
… stathalter die hiess vff tuͦn do tailte er mit denen die mit im waren …–…
kaines gemuͦt. ouch dennocht dem vnwilligete erzornen.
Verdeutschung Cölners der von verfassten Libri I und II; Duft, Gallus und Otmar (1988/90), p. 49-53 eigene dt. Übs. nach der Wetti-Fassung in Codex 553, weitere Lit. s. dort, inkl. Vide auch weitere Codd. der lat. Vorlage. -
117-175
Leben sant Magnen
In der zit alz der aller saligester Columbanus mit sant gallen mangerlay stett durchgiengen …–…
got dvͦr all vndt oͤdemlich welt der welt amen.
Textgeschichte: Spahr, Magnus (1970), p. 178 f.; Duft, Bodensee (1982), p. 121 und 39f., mit Verweis auf Cod. 565; Walz, Magnus (1989), p. 13, Anm. 27; Stocker (s.o.), p. 14; Stocker, Wibrad (1990), p. 26: Übersetzung nach der ältesten Fassung des Pseudo-Theodor. Vide Cod. 602, p. 154a.
-
176-197
Leben sant Othmars
[nach ]
- (176-177) >Fürred.< Alz die zway buͦchli geendet sint …
- (177-178) Capitel
-
(178)
Leben
Sant Othmar von geschlecht waz er geborn von swaben land …–…
des bruderlichen andachtes by siner verendrung.
Textgeschichte: Duft, St. Otmar (1959), p. 10-14 und 87 und (1966), p. 8f., mit Abb. von p. 323 der Hs.; Duft, Gallus und Otmar (1988/90), p. 57-66, freie deutsche Übersetzung der Vita (ohne Wunder); Sonderegger (1987, s. u.), p. 85f. Vide Codd. 588, p. 299; 602, p. 213a und 240.
-
198-229
Wunderzaichen sant Othmars
- (198-199) Vorrede Vntz her hat der apt walefridus der gelert man und wise in der kunst der buchstaben
- (199) Capitel
- (199-229) Wunderzaichen Als des saͤligen mannes lichnam geverret waz …–… dursiechtikait ain sach usz der masz grosser froͤd. Hie hand sant othmars wunderzaichen ain end der vns schirmen well an vnsrem end amen.
Textgeschichte: Duft, St. Otmar (1959), p. 15-17 und 87: Isos Zusatz der Miracula zur Vita in unserer Hs. wahrscheinlich in der frühesten Verdeutschung; Duft, Abtei II (1991), p. 112, 183 Anm. 41. -
230
Illustration der hl. Wiborada
Textgeschichte: Zur vermutlich ältesten Darstellung der hl. Wiborada: Duft, Ungarn (1957), p. 62, 72f., und Abtei II (1991), p. 180, 287f. (Lit.), Abb. 14; Irblich, Wiboradae (1970), p. 19f.; Stocker, »wibrad« (1990), p. 14.
-
231-305
Leben sant Wybrad
- (231-236) Vorred »Hepixanny« Es spulget ebendick von den vaͤttern …
- (236-241) Capitel
- (241) Leben Die salige goͤtlichi magt wibrad was geborn von dem geschlecht der swaben …–… nunhundert funff vnd zwenzig wilher lebt und richsnet got durch vnendende welt Amen
Textgeschichte: Neu ed. bei Stocker, Colner (1996, s.o.), p. 189-261, mit App. und Kommentar p. 262-316. -
305-322
Von den wunderzaichen sant Wibrad
- (305-306) Capitel
- (306-322) Wunderzaichen Hjer vmb nach der begrebt der erwirdigen stritterin …–… zu dem angefangnen werk Kolophon Friedrich Cölners: Ich bruͦtder friderich Colner der aller vnnútzeste múnch sant gallen bitten vnd vermanen alle die diss leben Sant Gallen vnd sant magnen vnd sant Othmar vnd sant Wibrad lesen oder abschriben werden. daz sy sy mit fliss lesen syent vnd abschriben vnd bass verstanden denn sy getuuͤtschet sint won ich von bett wegen vnd liebi myner gaistlichen kind dise leben mit grosser arbeit vß dem subtilen latin zu disem ainfaltigen tutsch do ich dennocht nit gar kundig in bin mit der hilff gottes bracht han vnd begern der gaistlichen hilff daz ist des bettes aller guͦten menschen.
Textgeschichte: Duft, Ungarn (1957), p. 62 und 72: erste bekannte, von Friedrich Cölner geschaffene und geschriebene Verdeutschung der Wiborada-Vita des Hepixan [Herimannus], p. 29-35, 38 f: freie, gestraffte Übersetzung der Kap. 25-29, 31 und 32 der Vita I Und Ergebnisse des Ungarneinfalles ergänzendes Kap. 33 der Vita II; Irblich, Wiboradae (1970), p. 18f., p. 182-184 zum Thema »Hepixannus«-»Herimannus«; ebenso Berschin, Wiborada (1983), p. 20-22; zusammenfassend CMD-CH III (1991), p. 264; Berschin (s.o.), p. 110-231: freie (?) Übersetzung der Vita unter Benützung verschiedenster Hs. im Vergleich mit Cod. 560; Stocker, »wibrad« (1990), p. 8, 25f. p. 36-78 Parallelen der lateinischen Vorlage (Cod. 560), mit dt. Übersetzung der p. 231-269, 299-302 unserer Hs., als Vorarbeiten einer späteren vollständigen Edition, p. 78-89 Vergleich der p. 231-241 unserer Hs. mit der Abschrift Conrad Sailers, Cod. 602, p. 276a-285b. Vide ferner die lat. Fassung Cod. 560, p. 374, mit den Hinweisen auf MGH SS 4; Cod. 564, 231; Cod. 610, 113a, Exc. Cod. 1034, 220. - 323 Illustration des hl. Otmar
- 324-326 leer.
-
327-474
Von den spruchen der altvatter
Sjsoius hiess ain abt den fragt ain bruder wie er in siner celle leben salti …–…
vnd gottes vorcht die sint ob allen tugenden. Got sy gelobt ewenklich.
Textgeschichte: Ulla Williams, Die »Alemannischen Vitaspatrum« (1996), p. 35* als Sg 1, jedoch ohne Spezifizierung unserer Exempla-Sammlung; vide. Cod. 595, dort auch allgemein zu den Vitaspatrum.
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475-476
[»Meister Eckharts Tochter«]
Von späterer Hand.
Ain dochter kam zuͦ ainem bradiger closter und vordret maister ekhart. der portner sprach von wem sol ich im sagen si sprach ich en wais …–…
der maister gieng wider hin in, vnd sprach zu sinen iunger ich hain den aller lutresten menschen gesechen den ich in zit ie funden haͤn amen.
- (477) leer.
- 478-484 [Stücklin zum Leiden Christi] Von späterer Hand. Disse nach gendi stvckli solt du den heren ihesus ermanen in diner Betrachtvng …–… vnd sich liess binden vnd jemerlichen naglen amen.
- 485-491 [Von der Aufnahme und Mitgift einer Nonne] Es ist ain frag ob man in den closter der frowen zimlichen mvg vf nemen vber die zal der presonen [sic] …–… vnd befindent sich vnd vch nach dem selben hailten im vfnemen der persomen [sic]
-
Textgeschichte: Die Hs. war Grundlage von Cod. 602 und teilweise von Cod. 588.
Provenienz der Handschrift:
- Die Datierung des Codex [1430-1436] beruht auf den Randdaten des St. Galler Aufenthalts des deutschen Ordensreformators Friedrich Cölners, gemäss Schreiberverzeichnis im CMD-CH III (1991), p. 289f. (Biogr., Lit.), Abb. 121; zu dessen Namensschreibung s. u. Lit.
- Der Band dürfte aus dem Benediktinerinnenkloster St. Georgen, St. Gallen, stammen, wo Friedrich Cölner, Verf. und Schreiber dieser Viten, Beichtiger war. Vgl. auch den (seit Rest. 1970) vor p.1 eingehängten Zettel mit klösterlichen Gedächtnis- und Jahrzeit-Notizen des 17.Jhs.: Anno 1595. den 18 tag Mertzen ist schwöster Eüphrasia dörigin von Appenzell geboren worden […] - […] nach sant Martinj halt man Jhren Jahrzeit. Genannt sind ferner Tod des Vaters und Klostereintritt und Tod der Mutter der Schreiberin 1636.
Erwerb der Handschrift: In StiBSG mit der Hss.-Akquisition Nepomuk Hauntingers
1780-1792 (cf. Cod. 1285, p. 11).
Bibliographie:
- CMD-CH III (s.o.); der Schreiber heisst in der Klostertradition und in sämtlicher bisheriger Lit. Cölner, während in seinem Kolophon Colner zu lesen, cf. Transkription CMD, welcher, wie auch unser vorliegender Katalog, beide Schreibweisen referiert;
- nur »Colner« bei Barbara Stocker, Friedrich Colner, Schreiber und Übersetzer in St. Gallen 1430-1436 (mit Beigabe der dt. Wiborada-Vita in dynamischer Edition), Göppingen 1996, p. 12-16 (Lit.);
- Stocker, Wibrad (1990), unsere Hs. p. 25 als »Cod. germ. 586«;
- wiederum »Cölner« bei Anton Näf und Rene Wetzel , Kölner (1997), näheres s. u.;
- weitere Lit. Irblich, Wiboradae (1970), p. 18 E. mit Abb. 7 f., p. 230 und 241 der Hs.;
- H. Jerchel, Spätmittelalterliche Buchmalerei am Oberlauf des Rheins, in: Oberrheinische Kunst 5, 1932, p. 76;
- P. Ochsenbein, Spuren der Devotio moderna im spma. Kloster St. Gallen, in: St. u. Mitt. Osb 101 (1990), p. 482E.;
- Duft, Abtei II (1991), p. 180;
- Duft, Miniaturen aus dem 15. und 16. Jahrhundert in der Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 1968, Farbtf. p. [13 und 17], mit p. 323 und 230 der Hs.;
- Bräm, Buchmalerei (1997), p. 333f., mit Abb. p. 230 der Hs. (unbekannter Buchmaler).
- Zur Schwesternklause St. Georgen s.M. Bless-Grabherr in: Helvetia Sacra IX/2 (1995), wie Cod. 589;
- Vgl. ferner Henggeler, Professbuch, Nr. 3, S. 233.
- Es liegen keine philol. Edd. der dt. Viten der St. Galler Hll. vor, sie sind in Vorb. bei Anton Näf und Rene Wetzel (Univv. Genf und Neuchâtel);
- als vorausgehende Studie vgl. Anton Näf und Rene Wetzel, Kölner (1997), zu unserer Hs. beson- ders p. 333-339 und 342;
- Jerchel, Buchmalerei (1930/31), p. 66, 71, 76;
- Frank Labhardt, Das Sequentiar Cod. 546 der Stiftsbibliothek von St. Gallen und seine Quellen, Bern 1960, p. 20;
- vgl. auch sprachgeschichtlich Sonderegger, Raetia, Ries, Churwalchen, in: Fs. Gerold Hilty, Bern 1987, p. 85 f.;
- zu den sprachlichen Eigenheiten unserer Hs. in der Übersetzung Friedrich Cölners: A. D. Mosher, Genre dependent variations in scribal profile. The St. Gall Tauler Manuscript and the St. Gall Vitae Sanctae Wiboradae, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 22, Amsterdam 1984, p. 155-166;
- Scherrer, Verzeichniss (1875), p. 190.