Kurzcharakterisierung:Handwerklich auf hohem Niveau hergestelltes und stilsicher geschriebenes Stundenbuch (pp. 1-193, nach vier Vorsatzblättern aus Papier). Hervorzuheben ist die Miniatur auf p. 24, die die heilige Veronika mit dem Schweisstuch Christi zeigt. Das Antlitz Christi ist später stark beschädigt worden. Die Miniatur auf p. 163 ist ganzseitig und steht am Beginn der Totenvigil. Die Initialen der Handschrift sind mit Blattgold versehen, ebenso die Zierseiten, die – beispielsweise p. 24, 38, 52 und 132 - mit figurativen Schmuckelementen wie Tierdarstellungen ausgestattet sind. Die Handschrift scheint im 16. Jahrhundert in den ostalemannischen Raum und nach St. Gallen gelangt zu sein.(nie)
Standardbeschreibung: Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 2: Abt. III/2: Codices 450-546: Liturgica, Libri precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 63-66.
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Zusätzliche Beschreibung: Scherrer Gustav, Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 153.
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Online seit: 13.06.2019
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 470
Pergament · 247 pp. · 14.5 x 10.5 cm · Brabant oder Nordostfrankreich · 15. Jahrhundert
Lateinisches Stundenbuch und Obituar
Wie zitieren:
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 470, p. 47 – Lateinisches Stundenbuch und Obituar (https://www.e-codices.ch/de/list/one/csg/0470)
Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 2: Abt. III/2: Codices 450-546: Liturgica, Libri precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften, 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 63-66.
Handschriftentitel: Lateinisches Stundenbuch (Horae de B.M.V.ad usum romanum) und Obituar
Seitennummerierung: Im 18. Jh. mit Tinte das Kalendar 1-25 paginiert, links begonnen, anschliessend der Offiziumsteil, d.h. der ganze pergamentene Rest des Bandes, foliiert 1-84; neue Paginierung ab p. 26, inkl. des grossen, aber leeren papierenen Nachsatzes p. 194-247; wegen der links liegenden p. 1 im ganzen Band die geraden Seiten rechts.
Lagenstruktur: Quaternionen, ausser III I/1-11, II[+ 1?]14-23, ev. das erste Blatt vorne zugefügt, Blatt p. 12/13 unklare Pertinenz, IV[-1]24-37, IV[-1]38-51, vor p. 24 und 38 das erste Blatt herausgeschnitten, III[+ 1]180-193, vermutlich das Blatt p. 180/181 vorne angefügt.
Seiteneinrichtung:
Einspaltig 8,5 x 6, 16 Z., Linierung nach gotischer Manier mit feinster roter Tinte.
Schrift und Hände:
Das Stundenbuch ist von einer Schreiberwerkstätte nach den Regeln der Kunst sehr stilsicher hergestellt. Gotische, nach burgundischer Art leicht hochgezogene Textura des 15./1 Jhs. einer stilkundigen und qualifizierten, aber nicht sehr interessiert arbeitenden Hand; leicht fliessende Wechsel von Rundung und Brechung an den untern Schaftenden.
Buchschmuck:
Illuminierung von professionellem Atelier; Miniatur im Buchstaben D zu Beginn des Hl.-Kreuz-Offiziums p. 24 mit der auf einer Wiese stehenden, das Schweisstuch Christi haltenden Veronika, jedoch ist das Antlitz Christi durch Übermalung nahezu zerstört; in der mit Blattwerk und Walderdbeeren ausgestatteten Bord. oben rechts ein Männertorso im Goldwams, Schalmeien spielend, mit Löwen- unterkörper, Schwanz gegabelt, in die Höhe und abwärts in die Ranke übergehend.
Die einzige ganzseitige Miniatur figuriert vor der Totenvigil p. 163, mit tonsuriertem Mönch samt Mitbruder im Hintergrund und Akoluthen, der dominierende Mönch in Bildmitte mit roter Cappa, ev. der hl. Dominikus an einem Sarg und schwarzgekleidete Mönche oder Trauernde, im Freien vor einer Kirche;
des weiteren hübsche, sorgfältig und routiniert hergestellte Fleuronnee-Init. in Blattgold oder bei grösserem Format mit Deckfarben auf Blattgoldgrund.
Reiche, blattgoldversehene Zierseiten mit Init. und Bord. orn. samt Zierleisten nach klassischer Art der Livres d'Heures p. 24, 38, hier auch fig., Löwe mit goldener Mähne, p. 52, als fig. Zutat hier ein Hahn, p. 132, mit kleinem Fasan, p. 164, hier auch fig., mit einem auf Wiese lagernden Hirsch, mit Bord., aber seitlich-vertikale Bord. p. 71, 91, 98, 103, 108, 114, 126;
viele kleinere Init. orn. mit Blattgold passim.
Einband: Einband vielleicht zeitgenössisch, spätestens wohl 16. Jh., ehern. dunkelbraunes Leder auf Holz, spätgotische Rankenprägung, Streicheisenlinien, zwei feine Schliessen HDK-VDK, von der oberen die Hälfte des Schliessbügels noch vorhanden. Das Papier des Vorsatzes und des grossen Nachsatzes p. 194-247 trägt kein Wasserzeichen, Datierung schwierig, wohl bei einer Neubindung und ev. teilweisen Restaurierung der Lagenheft-Bindung im 18. Jh. zugefügt. Falls inhaltliche Ergänzungen beabsichigt, wäre Neubindung auch im 17.Jh . möglich.
(1-23)
[Calendarium.]
Nur mit sehr wenigen eingetragenen Heiligen und Festen, vielleicht mit etwas Vorzug für weibliche Heilige, vgl. im Jan. Agnes, die nordbrabantische Äbtissin Aldegundis, im Feb. Brigitta und Juliana, im März Gertrud, im April Sophie, im Mai Petronilla; auf flämisch-brabantische Herkunft verweist besonders am 1. Juli Rommoldus, der (rein legendäre) hl. Rumoldus/Rombaldus von Mecheln, ferner Lambert. Am Schluss notiert (24[23]) die im ganzen Band vorkommende Hand des Glossators des 17.Jhs. Tu supplex ora, tu protege vmquam (?) labora.
(24-29)
Officium sanctae crucis.Domine labia mea
, dann Reimoffizium
Patris sapiencia ueritas diuina …
[Recommendatio.] Has horas canonicas cum deuocione … consors sim corone Amen.
AH 30, p. 32-35, mit reichem Beleg; die Miniatur des Schweisstuchs Christi in den Händen Veronikas, eingangs im Buchstaben D.
(38-45)
Hore de sancto spiritu.Domine labia mea …–…
Emitte spiritum tuum … Deo gracias.
Reimoffizium. Nobis sancti spiritus gratia sit data .. ., AH 30, p.15-17. Im Zusammenhang mit der (46) folgenden Marienantiphon notiert (45 unten) eine Hand des 17. Jhs. Jst sÿ voller gnad so kan sÿ vnß gnad mitthailen.
(46-47)
Antiphona ad B.M.V. Salve regina …
mit Oratio. Vom Glossator p. 46 und 48 annotiert mit Erklärungen.
(49-50)
Nachtrag des Glossators in etwas kalligraphischer Cancellaresca: [Ignatius ZanlerDisticha exhortationis ad alumnos de studiis.]
Disticha quaedam ad uitam pie et honeste instituendam. Haec documenta suis Ignatius cedit aLumnis / Vt methodo parva commoda magna ferant …–…
Fac matutino uespertinoque reuoLuas / Haec studia et lectum dum petis adde preces.
(51)
Von derselben Hand eine Regula benedicendi Christi et Mariae.
Als Autor könnte gemäss dem Namen Ignatius und der Schriftdatierung in Frage kommen der St. Galler Konventuale P. Ignaz (Jakob) Zanler von Geiserswald (1608-1653), ab 1634 Lektor der Theologie im Stift, ab 1639 in St. Johann, nach Studien 1640 in Ingolstadt auch in Rorschach. Henggeler, Professbuch (1929), p. 300 f., Nr. 265.
(52-131)
Horae B.M. V. [ad usum romanum].Domine labia mea …–…
Deo gracias.
Vom Glossator div. marginale Verweise mit Folien-Angaben, wohl einer anderen Hs.
Victor Leroquais, Les livres d'heures: Manuscrits de la Bibliothèque nationale, Bd.1, Paris 1927, p. XXXV-XXXIX.
(132-163)
Septem psalmi penitenciales. Domine ne in furore tuo …–…
ego seruus tuus sum.
Durch die obige Hand (146) ... Populum [korr. in: Poculum] meum cum fletu miscebam …
(153-160)
Litania.
Der Heiligenkanon minimal knapp, ohne die lokalen Heiligen des obigen Kalendars. Der Glossator annotiert am Schluss (160) das bekannte Buchstabenquadrat Sator Arepo
(161-162)
über Hilfe an den armen Seelen im Fegfeuer
(162)
aus Athanasius, Qu. 34, über die Cura pro mortuis
(164-191)
Vigilie mortuorum.Dilexi quoniam exaudi …–…
requiescant in pace amen.
(179)
>Lectio I.<Parce michi domine nichil enim sunt dies mei …
(180)
>II.<Tedet animam meam uite mee dimittam aduersum me eloquium meum …
>III.<Manus tue domine fecerunt me t plasmauerunt me …
(191)
Von einem weiteren Glossator oder vom Hauptglossator mit veränderter, schnörkelreicherer Schrift eine Oratio
In die obitus defuncti. Absolue quaesumus domine animam …–…
pietatis asperge. Per dominum.
Wiederum mit Folio-Verweisen des Glossators.
(192-193)
und der grosse papierene Nachsatz (194-247) leer.
Entstehung der Handschrift: Herstellung wohl als Auftragswerk in einem weltlichen Scriptorium in Brabant oder Nordostfrankreich, s.u. Kalendar.
Provenienz der Handschrift: Dann vermutlich ab 16. Jh. in ostalemannischem, ev. st. gallischem Besitz, vgl. die Mundart der deutschen Marginalie in späterer humanistischer Kursive p. 45 (s. u.), vielleicht vom Konventualen P. Ignatius Zanler (s. u. zu p. 49f.).
Erwerb der Handschrift: Kein Besitzeintrag, kein Stempel D.B.; p. H Hinweis von I.v.A. auf die teilweise Zerstörung der Veronika-Miniatur p. 24. In StiBSG spätestens seit Mitte 18. Jh., wegen alter Signatur D. n. 462 p. A.