Für diese Handschrift sind folgende Beschreibungen vorhanden

  • Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Band 2 Abt. III/2: Codices 450-546: Liturgica, Libri precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 39-42.
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  • Scherrer Gustav, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 152.
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St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 462
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Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Band 2 Abt. III/2: Codices 450-546: Liturgica, Libri precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 39-42.

Handschriftentitel: Liederbüchlein des Johannes Heer
Entstehungszeit: 16/1 Jh. (1510 ?)
Frühere Signatur: N. 95 p. 1
Beschreibstoff: Papier. Auf dem sehr guten Papier kein Wasserzeichen sichtbar, wohl aber die Sieb-Leisten, Abstand 2/2,5 cm.
Umfang: 182 Seiten
Format: 18,5 x 24,5
Seitennummerierung: Zeitgenössische Tintenfoliierung 1-71, f. 7 und 72 mit Tinte im 18. Jh., f. 74-87 mit Bleistift im 19. Jh. ergänzt; damals begann man auch eine Paginierung p. 1-9, die bei Beginn der zeitgenössischen Foliierung aussetzt, aber im 20. Jh. fertiggestellt worden ist.
Lagenstruktur: Die Lagenformel ist wegen der Bindung nicht eruierbar, keine Reklamanten; s. Bericht der 1990 erfolgten Restaurierung, Ms. StiBSG.
Seiteneinrichtung: Es handelt sich im Wesentlichen um ein Musikbüchlein im Quartformat, dessen Seiten meist rastriert sind, wobei für einzelne längere nichtmusikalische Texte die Rastrierung passim aussetzt. Schriftraum 14 x 20 und var., durch die Rastrierung eingegrenzt, frei gehandhabt.
Schrift und Hände:
  • Noten und Text von der hierin geübten Schreiberhand, die Texte in einer Misch-Kursive des Spätmittelalters mit starkem Einschlag der humanistischen Kursive, welche bei lateinischen Texten stark dominiert, während das Deutsch im weitgehend alten Stil geschrieben ist.
  • Gemäss den Editoren Geering/Trümpy (s. u.), p . VIII, stammt « der grössere Teil der Liedertexte (und damit sicher auch der Musiknoten) » von der Hand des Autors, dies aufgrund des Schriftvergleichs mit einem Brief desselben an Zwingli, Staatsarchiv Zürich, E I 3.3 Nr. 100, freilich von 1531, während unsere Hs. auf 1510 datiert wird.
  • Das Lied Effugite o iuvenes p. 25 (A 29) und der Vers Vivere in humanis (A 30) sollen von der Hand Glareans stammen, vgl. Geering/Trümpy, p. 179-180.
  • Unterschieden werden weitere Einträge einer fast durchwegs rot schreibenden »Tibull«- und einer sorgfältigen »Beroaldus«-Hand, ebenso Zusätze vereinzelter weiterer Hände (vgl. Geering/Trümpy (s. u.), p . VIIIf.).
Musiknotationen: Mensuralnotation des 16. Jhs. auf einheitlicher Rastrierung zu 5 Linien. Die Stimmlagen stets in Rot, ebenso viele Textinitien der Lieder.
Buchschmuck:
  • Einzelne Texte und Liedtitel auch mit roter Tinte.
  • Eine mit etwas Aufwand gemalte kleinere Eingangsinitiale im spätgotischen Stil federgezeichnet und etwas rot koloriert, durch Wasserflecken verwischt;
  • ihr folgen auf der gleichen und den folgenden Seiten eine Reihe ähnlicher kleinerer Init. orn., z. T. auch nicht ausgeführt, vgl. p. 15, ab p. 22 setzen diese aus, der Raum bleibt stets ausgespart, den Ersatz geben ab p. 26 anfänglich lombardähnliche Kompositionen, welche p. 30 ebenfalls aussetzen.
  • Lateinische und auch deutsche Texte sind mit Zinnobertinte in einer feinen und eleganteren Humanistica sehr häufig nachgetragen, wie überhaupt zahlreiche zusätzliche Texte resp. Strophen, vgl. p. 76f.; ab p. 88 ist, neben der Eisengallus-, nur noch die Zinnobertinte im Gebrauch für sämtliche Liedinitien, Textnachträge und Stimmlagen-Bezeichnungen.
  • Ab p. 106 wird die Rubrizierung spärlicher, ab p. 114 setzt sie vollständig aus und nimmt auch die übrige Textierung passim stark ab, bis auf knappste Titelangaben unter den nackten Notenzeilen, vgl. p. 114 f., 132-140, 146-152, wo anschliessend eine Reihe von Blättern gänzlich leer geblieben ist, p. 154-163, 166 (eine leere rastrierte Seite) und 167-175.
Spätere Ergänzungen: Eine Datierung findet sich p. 180 am Schluss eines kleinen Moraldialogs: telos parisius 1510 . Auch auf dem vorderen Spiegel neben der Notiz adam samsonem (s. u.) derselbe Orts- und Datumsvermerk; weitere vier Datierungen mit 1510 p. 75, 101, 103, 179; spätere Datierungen von 1512-1516 auf p. 120, 137f., 140, die späteste ist p. 152 mit 1530.
Einband: Einband 16. Jh., Leder auf Holz, reiche Renaissance-Stempelung, mit einem Mittelfeld von blütenverzierten Rautenbändern, umrandet mit vier Leisten mit fortlaufendem Rankenband, das Blüten und Tiere einfasst. Stark abgenützt, vier neue lederne Schliessbänder anstelle der alten. Auf den originalen Spiegelblättern viele Notizen.
Inhaltsangabe:
  • 9-165 Johannes Heer de Glarus: [Libellus canticorum, cum notatione musicae, lateinisch, deutsch, französisch]
    • (Spiegelblatt vorne) [Notae variae, Sententiae.] Initium sapientie timor domini, Adam samsonem, loth dauid , Hermolaus Barbarus , Alma dei genitrix, Ego eimi christos phos kai (?) hodos [griechische Buchstaben], Venter; pluma, venus
    • (1) [Liedertexte] Vß herzen grund fur ich myn clag …–… mich fraut allein dyn widder farth.
    • (2-8) leer.
    • (9-165) Cantica Dulcis maria dei rosa vemans stella decora …–… Niemen dan gott der her. Finis. Gurdin 6 [Guldin (?)].
      • (154-164) leer
      • (166) leer mit Rastrierung
      • (167-175) leer Vgl. den mit »Carmina Cristianissima« betitelten Zusatz Tschudis p. 79 Dilige Luxuriam / vitium cole / despice sanctos / Iustitiam fuge / Sperne Deum / Sathan uenerare.
    • Inhaltsinventarisation der 88 Cantica in der Ed. Geering/Trümpy (s.u .), Übersicht p. IX f., die Ed. der 88 Lieder erfolgt p. 3-154, in moderner Notation, mit gemässigt textgetreuer Transkription der Texte, in der Reihenfolge der Hs.; 57 Lieder sind anonym, 7 sind bezeichnet bzw. 24 identifiziert (davon 7 mit Fragezeichen) als Werke der Komponisten J. Prioris, L. Compere, A. von Fulda, H. Isaak, J. Heer, L. Senfl, J. Obrecht, A. Agricola, C. Rigo de Bergis, J. Desprez, A. Févin, P. de la Rue, S. Dietrich.
    • (176 bis Spiegelblatt hinten) [Notae variae.] >Signa 12< Aries Taurus …–… dum canis esrodit (?) sonum quem diligit odit.
      • Arnold Geering/Hans Trümpy [Hgg.], Das Liederbuch des Johannes Heer von Glarus. Ein Musikheft aus der Zeit des Humanismus (Cod. 462 der Stiftsbibliothek St. Gallen) (= Schweizerische Musikdenkmäler, Bd. 5), Basel 1967, p. VIIf. zu Heer, p. VIII-X Beschreibung der Hs., p. XI Zu deren Entstehung, p. XV- XXI, p. 3-153 Ed. in 88 Nrn., p. 157-184 kritischer Bericht;
      • Scherrer, Auszüge (1859), p. 47-50, mit p. 47 einer Reihe von Liedanfängen und div. Hinweisen auf ältere Ed. einzelner Texte, Ed. der Texte in 11 Nrn. (hier zit. nach Scherrers Transkription), p. 1: Uß hertzen grund (Nr. 1), 27: Fruntlichen gruss (Nr. 2), 43: Ich bin verirrt (Nr. 3), 49: Ach got, wie we dut scheiden (Nr. 4), 49: Wiltu mich übergeben (Nr. 11), 54: Die vollen Bruder (Nr. 10), 60: Von tugent milt (Nr. 6), 64: Ein frölich wesen (Nr. 8), 65: Wo ich den lend (Nr. 9), 116: O Werder mund (Nr. 5), 153: Was wil es doch (Nr. 7).
Entstehung der Handschrift:
  • Ob mit der Pariser Datierung von 1510 die Niederschrift dieses Büchleins, dieses Textes nur, oder der Abschrift desselben in Paris zuhanden dieses Büchleins zu sehen ist, muss offen bleiben.
  • Da p. 104 mit Nr. 59 wieder geistliche Lieder einsetzen, haben Geering/Trümpy vermutet, die ab hier folgenden Lieder seien nach einer eventuellen Rückkehr 1512 nach Glarus eingetragen worden. Die ersten 8 Seiten sind gemäss den Editoren entstehungsmässig ungeklärt.
Provenienz der Handschrift:
  • Nachdem Heer gemäss Geering/Trümpy den Hauptteil der Hs. selbst geschrieben hat, ist deren Feststellung, Heer habe sein Album « 1510 in Paris erworben » ( Geering/Trümpy, p. XI), nicht verständlich, ausser es wäre das Papier gemeint.
  • Im Besitz des Schreibers Johannes Heer von Glarus. Besitzeinträge: vorderer Spiegel Johannes heer est possessor huius libri, gotische Textualis mit Phantasieverzierungen; p. 182 Je suys au maistre Jehan Her de glaris Lequel moy tient en grand honneur. Gelangte in den Besitz (vgl. p. 79) und in den Nachlass des Aegidius Tschudi.
    • Tschudi, Nachlassverzeichnis (1767), Nr. 95;
    • CMD-CH III, Kap. 4, Ausgeschiedene Handschriften, Nr. 906;
    • Geering/Trümpy (s. u.), äussere Beschreibung p. VIII f., mit Abb. des vorderen Spiegelblatts sowie der p. 9 f., 13, 18, 67, 122;
    • MGG2, Personenteil 8, col. 1144 f. (Beat A. Föllmi);
    • Schmuki/Ochsenbein/Dora, Cimelia (2000), Nr. 84, mit Abb. von p. 59 der Hs.
    • Zum Nachlass Tschudi Scarpatetti, Handschriften 547-669 (2003), p. XXIV-XXIX, 383-385 (Lit.).
Bibliographie:
  • Thomas Cramer, Die kleineren Liederdichter des 14. und 15. Jhs., Bd. 1, München 1977, unsere Hs. unter vielen erw. p. 405 f.;
  • Marx, Cod. 530 (1980), unsere Hs. erw. p. 269 f., zu den Vorlagen der Intavolierungen, u.a. unsere Codd. 461-463, unsere Hs. erw. p. 272, ebenso p. 288 wegen der Datierung 1514 VIII 9 betr. Cod. 530;
  • Cramer (s.o.), Bd. 3, München 1982, p. 636;
  • Marx/Warburton, Orgelbuch (1992), p. 337 und für einzelne Lieder im Anm.-Teil VI, p. 344-362, Nrn. 14,98,131, 149;
  • Hans Joachim Marx, Tabulaturen des XVI. Jhs., Bd. 2: Die Orgeltabulatur des Clemens Hör, Basel 1970, unsere Hs. erw. unter vielen p. 54, 60;
  • Arnold Geering, Die Vokalmusik in der Schweiz zur Zeit der Reformation, in: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft 6, 1933, unsere Hs. erw. p. XVII, 92, zu Heer p. 91f., 185f. mit unserer Hs., deren Lieder alphabetisch erfasst in Beilage VIII, p. 224-226, vgl. auch Reg. p. 247;
  • Nef, Sicher (1938), unsere Hs. erw. p. 68, 75, 105, 117, 124, 151;
  • Jakob Werner, Lateinische Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters, aus Handschriften gesammelt, Heidelberg 21966, unsere Hs. als SG1 p. 13, ebenso vereinzelt passim im Inventar der Lieder p. 19-127;
  • Johannes Wolf [Hg.], Heinrich Isaac, Weltliche Werke. Denkmäler der Tonkunst in Österreich XIV/1, Wien 1907, Lieder Nr. 5, 25, 26, unsere Hs. im Revisionsbericht p. 173 als Sg2 unter vielen;
  • Eduard Bernoulli, Aus Liederbüchern der Humanistenzeit. Eine bibliographische und notentypographische Studie, Leipzig 1910, unsere Hs. erw. p. 23 und 30;
  • Charles Warren Fox, Ein fröhlich Wesen: The Career of a German Song in the Sixteenth Century, in: Papers of the American Musicological Society, 1937, unsere Hs. p. 58 erw., ferner p. 71 als III.8. und p. 72 als X.17 und XI.18. im Quellenkorpus;
  • Coenraad L. Boer, Chansonvormen op het einde van de XV de eeuw, Diss. Utrecht, Amsterdam 1938, Hs. als Quelle unter vielen aufgeführt p. 88;
  • Hs. erw. auch bei Edward Clinkscale, Josquin and Louis IX., in: Acta Musicologica 38, 1966, p. 67f.;
  • CD-Einspielung, Mels 1991;
  • Honey Meconi, Fortuna desperata, 36 settings [musikalische Transkriptionen in moderner Notation], Middleton 2001, Hs. erw. passim im Appendix p.[xxvii-xxxvii] und p. 151f.;
  • ebenso Transkriptionen bei Stephen Self, The Si Placet Repertoire of 1480-1530, Madison 1996, unsere Hs. p. 88;
  • VL2 1, col. 55 unsere Hs. erw. Vgl. allg. Isabelle Ragnard, Quelques aspects codicologiques des manuscrits de musique profane (XV./1 s.), in: Gazette du livre médiéval 38, 2001, p. 14-25.