Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 119
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Wetzel René, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana, Cologny-Genève 1994, S. 159-163.

Handschriftentitel: Dorfrechts-, Vertrags- und Verordnungsabschriften aus dem Kanton Zürich (Neuamt)
Entstehungsort: Kanton Zürich
Entstehungszeiten:
  • um 1548
  • mit Nachträgen bis Beginn 17. Jh.
Beschreibstoff: Pergament und Papier
Umfang: I + 47 Bll.
Format: 22,9 x 19,9
Seitennummerierung: Alte Tintenfoliierung 1-39, dann modeme Bl.zählung (Bleistift) 40-47. Leer sind das Vorsatzbl., 20v-21v, 23v, 24v, 27r-v, 39v, 42v-47v.
Lagenstruktur: 10 Lagen, in der Majorität Binionen: 1 + 6 II24 + II (_1)27 + 2 III39 + IV47. Das Vorsatzbl. ist an die erste Lage angeklebt. Lagenzählung A -G zu Beginn jeder Lage für die Binionen (perg.). Bl. 1-27 Pergament, Bl. 28-47 2 Papiersorten: Die 2 Ternionen (Bl. 28-39) aus grobem Papier mit undeutlichem Wz. (Blume?), der Quaternio (40-47) ebenfalls aus grobem Papier, Wz. bekrönter Doppeladler mit Monogramm PB u. in der Mitte Schild mit Balken, viell. das Wappen von Zug (Anmerkung: Im zugerischen Baar (PB = Papiermühle Baar?) ist ab spätestens Ende des 16. Jhs., viell. schon 1560 eine Papiermühle nachzuweisen, vgl. BR., Kommentar zu 1445 (siehe auch Nr. 1446!); vgl. Hans B. Kälin, Wappen in Schweizer Wasserzeichen. Ein heraldischer Rundgang durch schweizerische Papiermühlen (Neujahrsgabe der Schweizer Papierhistoriker). [Basel] 1986, S. 11 u. Abb. 74.).
Zustand: Der Einband vielfach bestoßen u. berieben, fleckig, jedoch sehr schön restauriert. Buchblock in ausgezeichnetem Zustand, das Perg. u. Papier an den Rändern abgegriffen u. speckig, das Papier auch sonst fleckig, Tintenfraß durch die Tinte der 12. Hand.
Seiteneinrichtung: Der Schriftraum schwankt zw. 17,2-18,5 x 11,5-15,5. Durchwegs einspaltig, eine durchschnittliche Z.zahl pro S. läßt sich schwer ermitteln, da die Texte mehrheitlich aus kleinen, voneinander abgesetzten Artikeln zusammengesetzt sind. Im Perg. teil Schriftrahmen mit feiner Tinte gezogen, teilweise noch sichtbar, im Papierteil Bl. 28- 39 Schriftrahmen mit roter Tinte, Bl. 40-47 nur seitliche Begrenzung, blind gezogen.
Schrift und Hände: Typische Zürcher Kanzleischriften versch. Hände, die Titel in Auszeichnungsschrift:

Einband: Moderne Pappdeckel mit dem alten, ursprünglichen Schweinsledereinband überklebt u. restauriert. Blinddruck mit oder ohne Handvergoldung: Rollen- u. Einzelstempel mit Pflanzenornamentik, Medaillons (Männerköpfe mit nicht mehr zu entziffernden Umschriften), nackte Gestalten mit versch. Attributen (Kind, Hund, Kreuz; Aufschriften nicht mehr lesbar). Streicheisenverzierung für Feldumgrenzung. In der Mitte des Vorderdeckels runde Stempelplatte mit dem Wappen von Zürich u. der Jahreszahl 1547. Darüber, in freiem Feld die Jahreszahl 1548 eingedruckt. Nur noch schwache Spuren der ursprünglichen Vergoldung. 4 einfache erhabene Bünde. Auf Vorder- u. Hinterdeckel die Spuren von 2 Schließen (Löcher im Einband). Die Spiegel der Innendeckel aus Perg. Im vorderen Spiegel der jüngere Bleistifteintrag Zürich, im hinteren Spiegel nebst Einträgen der Bodermiana versch. Federproben, zur Hauptsache oder ganz durch den Buchbinder Hans Rogen von Zürich (1548/ Johannes Rogen Buchbinder zu Zürich / hat diessen; HAANSS . ROGEN. BUCHBINDER. /1546 u. a.).
Hauptsprache: Kanzleideutsch alem. (zürcherischer) Prägung.
Inhaltsangabe:
  • 1r - 42r Dorfrechts-, Vertrags- und Verordnungsabschriften aus dem Kanton Zürich (Obervogtei Neuamt)
    • 1. (1r-17r) Die Offnung des Neeracher Zwinghofes
      Offnùng unnd rechtùng desz zwynghofs zù Neerach. Oùch desszelbigenn hofs altharkomenn, wie das von den lanndtgraaffen von Kybùrg an unnser gnedig herren von Zürich komenn jst. / Unnd staat hernach zil unnd kreysz geschribenn. / Als feer dann der zwinghof gaat, facht er an zŭm vallenden brunnen an dem steyn …–… 17r Anno [etc] 1538, uff mentag nach der heyligenn dryger Kännigen tag [= 7. jan.] habennd die biderbenlüth jm Nüwenam[m]pt dŭrch ir erbar bottschafft mine herren gar thrŭngenlich angesůcht - sŭnder den bůsszen nachfaaren unnd die fräfel wie sich gepürt straaffen wellen. Act[um] ut supra, pr[aese]nt[ibus] herr Diethelm Räyst unnd beyd räth.
      Die Offnung (= Dorfrecht) des Zwinghofes von Neerach im zürcherischen Neuamt wurde 1528 nach versch. Vorläufern in einer Neufassung festgelegt u. 1538 (vgl. unseren Text) erneuert. Der Text betrifft den ganzen Gerichtskreis, der sich mit der Obervogtei Neuamt deckt, von der Neerach eine Art Bezirkshauptort darstellte. 12r/v bestätigen die Vögte u. Räte von Zürich Itelhans Thumysen, Johann Haben und Hans Aescher den Leuten im Neuamt die gleichen Rechte wie im Amt Kiburg (betreffend Erbrecht), datiert vom Donnerstag nach Pfingsten (= 13. 6.) 1538.
      Die Originaltexte von 1528 u. 1538 befinden sich im Staatsarchiv von Zürich, A 97,5; Hg. Joseph Schauberg, Beiträge zur Kunde und Fortbildung der Zürcherischen Rechtspflege. Bd. 3. Zürich 1842, S. 399-423. Vgl. Heinrich Hedinger, Geschichte der Gemeinde Neerach. Hg. v. der Gemeinde Neerach. Gemeinderatskanzlei Neerach 1972.
    • 2. (18r-24r) Diverse Verordnungen, das Neuamt oder einzelne Gemeinden betreffend
      • a. (18r) Bußen in der Neuämter Gemeinde Oberglatt
        Wie feer unnd hoch die gemeind zů Oberglat des einunngs halb zů straaffen hat. / Nachdem unnsere herren angelanngt, das die gemeind zů Oberglatt der verfallnen bůssen halb ettwas jngriffs
      • b. (18v) Der Brückenzoll zu Baden
        Brùggen zoll zů Baden. / Als denn zů Stadel unnd annderen jm Nüwen Ampt, so jnn die statt Badenfarend unnd hanndlent, etwas fäszen unnd gellt für den brùggen zoll zů Baden angeforderet worden
        Datum: Im Januar 1596. Kein Brückenzoll für Neuämter Untertanen, die in die Stadt Baden fahren.
      • c. (19r-20v) Wirts- u. Botengeldsordnung im Neuamt
        Betrëffend das wirten. Oūch bottgëlt unnd bůsszen / Als der undervogt und weybel jm Nüwenampt etlichen uffs jar umb fünff schilling täfergellt zewirten erloůpt
        Datum: 2. Januar 1577. Bürgermeister Bräm und beide Räte.
      • d. (20r) Weinungeld zu Haslen (Offnungsartikel)
        Wyn ungelt zů Haszlen. / Jnn deren von Niderhaszlen unnd Metmahaszle offnùng staht volgender artickel: / Jtem wer da wyn schencket, der sol geben fünf schilling dem vogtherrn
      • e. (22r-23r) Eid u. Verordnungen für Richter u. Weibel im Neuamt. Einzelne Gerichtsverordnungen
        Als biszhar jm Nüwennampt nit nùn [!] alleyn der richtren unnd weyblenn halb, sonnder oùch jnn der ganntzenn gemeynnd vylerley unordnungen, misszbrüch unnd beschwerligkeyten entstannden
        • Der richtern Eyd Der weyblenn eyd Das die richter an den gerichtstagenn flyszig zůher gaan söllind by der bůsz
        • [22v ] Von uffschlägenn Verdanngk Von ungeschigktenn redenn hynnderm gericht
        • [23r ] Der kùntschafftern Ion Umb die gannt zů Oberhaszle
      • f. (24r) Entlöhnung des Vogtes u. der Weibel an Gerichtstagen
        V[o]n der vogts und der weyblen lon und zerung zů grichtstagen und das die vögt bar zalind. / Zů verhůtùng allerley uncostens, so sich jm Nüwen Ambt mit zerung der vögten, weyblen und sonst uf loùft …–… Actùm mittwùch den ersten februarj anno [etc] liij, p[raese]nt[ibus] her Hanns Rùdolf Lafater burgermeister und beid räth.
    • 3. (25r-26v) Erbfallstreit zwischen Kaiserstuhl und Zürich
      • a. (25r-26r) Bestimmungen, hauptsächlich den Erbfall beim Tod von Unehelichen u. Freizügigen in Kaiserstuhl betreffend.
        Die uneelichen unnd landtzügling zů Keyserstůl belanngendt. / Alls abermalen etlich uneelich lüt unnd landtzügling zů Keyserstūl mitt tod abgangen,
        Datum: 8. März 1553. Bürgermeister Hans Rudolf Lavater u. beide Räte.
        Die niedere Gerichtsbarkeit von Kaiserstuhl lag beim Vogt des Bischofs von Konstanz, die hohe Gerichtsbarkeit seit 1415 bei den acht alten Orten der Eidgenossenschaft, die sie dem Landvogt von Baden zuwies. Kompetenzstreitigkeiten um Rechte, die Zürich bzw. die Neuämter Vogtei beansprucht.
      • b. (26r-v) Bereinigung des Erbfall-Streites zw. Kaiserstuhl u. Zürich nach dem Tod des Unehelichen Gebhard Helmsdorfer in Kaiserstuhl.
        Erlüterünng umb die fal zů Keiserstůl. / Nachdem Gäbhart Helmstorffer, so ein lediger unnd zů Keiserstůl wonhafft gewesen, mit thod abgangen, …–… der gebenn jst den zwentzigisten tag jùlij, nach der gepùrt Christi unnsers herren unnd seligmachers getzelt thùsennt funffhùndert sechtzig und fünff jare.
    • 4. (28r-42r) Verträge, die Gerichtsbarkeit von Weiach betreffend
      • a. (28r-32v) Bann der Wälder in der Neuämter Gemeinde Weiach (Urkunde).
        Bann über der gmeinnd Wyach höltzer. / Wir Märck Sittich, der römischen kilchen cardinal, oùch bischoffe zů Costanntz unnd herr der Rychennow [etc]
        Datum: 15. Juli 1567. Kardinal u. Bischofvon Konstanz Mark Sittich von Hohenems, Bürgermeister u. Rat von Zürich, Vogt Johann (Hans) Melchior Heggenzer von Weißwasserstelz. An weiteren Namen werden genannt: Magnus Bässler (Vogt zu Kaiserstuhl), Bernhard von Cham (Bürgermeister von Zürich), die Zürcher Räte Jakob Stampfer, Jakob Röüst u. Ludwig Meier. Auch Weiach unterstand für die niedere Gerichtsbarkeit dem Bischofvon Konstanz bzw. dessen Vogt in Kaiserstuhl. Von 1450-1587 hatten die Schaffhauser Herren Heggenzer (Heggenzi) u. die Herren von Landsberg diese Vogtei inne. Vgl. Walter Zollinger, Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1271-1971. Hg. v. d. Gemeinde Weiach. Gemeinderatskanzlei Weiach 1971.
      • b. (33r-35v) Klärung der Kompetenzen betreffend die hohe u. niedere Gerichtsbarkeit in Weiach (Urkunde)
        Vertrag umb die grichtsherrligkeit desz dorffs Wyach zwüschent mynen herren von Zürich unnd den beiden grichtsherren. / Wir Merckh Sittig, von gottes gnaden der heiligen römischen kilchen cardinal, bischoffe zů Costanntz unnd herr der Rychenouwe [etc]
        Datum: 26. September 1576. Kardinal u. Bischof von Konstanz Mark Sittich von Hohenems, Bürgermeister u. Rat von Zürich, Hans Melchior Heggenzer von Weißwasserstelz (Rat Erzherzog Ferdinands); ausgearbeitet vom Kanzler des Bischofs, Heinbrand Wenglin (Dr. iur.), dem Vogt von Kaiserstuhl Ludwig Tschudi von Glarus, im Namen Zürichs von den Räten Mathis Schwerzenbach, Säckelmeister Hans Wilpert Zoller, Hans Ziegler, Hans Keller, Hans Escher u. Staatsschreiber Berold Escher, sowie schließlich von H. M. Heggenzer.
      • c. (36r-38v) Klärung der niederen bischöflichen Gerichtsbarkeit in der Grafschaft Kyburg (Urkunde)
        Sprūch unnd vertrag umb des bischoffs zů Costantz nidern grichten jnn der grafschafft Kybūrg, darùf hievor geschribner wyachischer vertrag jnn etlich luthet, / Wir, dis nachbenempten Niclaūs Gùndelfinger, lerer geistlicher rëchten unnd vicary desz hoffs zů Costantz,
        Datum: 30. April 1461. Im Auftrag Heinrichs, Bischof von Konstanz, u. des Bürgermeisters u. Rates von Zürich, ausgearbeitet von Niklaus Gundelfinger (Vikar am Konstanzer Bischofshof), Hans Heggenzi (Vogt in Kaiserstuhl), Rudolf von Cham (Altbürgermeister von Zürich), Johann Schwend (Ritter), Ulrich Widmer u. Oswald Schmid (Zürcher Räte).
      • (39r) Späterer Verweis (17. Jh.) auf weitere Verordnungen im Vogteienbuch, wie bereits (von selber Hand) 11v.
      • d. (40r-42r) Vertrag zw. Zürich u. dem Vogt von Kaiserstuhl, die Gerichtsbarkeit in Weiach, die Bußen in Oberfisibach sowie die Zollfreiheit zw. Eglisau u. Kaiserstuhl betreffend.
        Abred und verglychùng zwüschent myner gnädigen herren von Zürich verordneten an einem, unnd herren vogt zweyen zū Keyserstůl sambt dem landspergischenn amptman zů Keyserstůl Vc. Wùrmbszern am anderen theil, umb etlich sachen, fürnemblichen die grichtsherrligkeit zů Weyach, …–… Hiervon [!] geschriben abred und artickel sind von mynen gnädigen herren bùrgermeister und rath der stadt Zürich bestetiget, sambstags den letsten tag junij anno 1604.
Entstehung der Handschrift: Herkunft unbekannt. Inhalt u. Buchbinder weisen auf Zürich als Ursprungsort der Hs. Die Stükke betreffen alle direkt oder indirekt die Zürcher Obervogtei des Neuamts. Der Sitz von deren Kanzlei befand sich allerdings offenbar erst seit ca. 1600 - um diese Zeit wurde eine eigentliche Neuämter Kanzlei eingerichtet - in Zürich selbst. Vorher wurden die Schreibarbeiten der Obervögte von lokalen Schreibern besorgt (vgl. Georg Sibler, Zinsschreiberei, geschworene Schreiber und Landschreiber im Alten Zürich. In: Zürcher Taschenbuch 1988, S. 149-206, speziell S. 181-186; Ders., Verzeichnis der Landschreiber und Notare. Ungedrucktes Typoskript im Zürcher Staatsarchiv, 1984-1990, Bd. 1, Nr. 14). Gemäß freundlicher Auskunft von Urs Helfenstein, Staatsarchivar, Zürich, handelt es sich um typische Zürcher Kanzleischriften. Aufzeichnungen, wie sie unsere Hs. überliefert, stellen keine Seltenheit dar, vgl. z. B. die Hs. Z IV 346 der Zürcher Zentralbibliothek (Gagliardi/Forrer, Sp. 1743: "Acta betreffende das Neue Amt überhaubt, den Zwinghoff Nerach und die Gerichte Weyach"). Der Buchbinder Hans Rogen oder Rog konnte nicht nachgewiesen werden. Der Bd. ist aus 3 Teilen zusammengesetzt (1 Perg.- u. 2 Papierteile). Die kopierten Rechtsstücke erstrecken sich im wesentlichen über den Zeitraum von 1538-1604 (ein Vertrag von 1461 fällt zeitlich aus dem Rahmen). Ob bereits alle 3 Teile beim Binden 1548 zusammenkamen, ist nicht mit Sicherheit zu beurteilen, jedoch wahrscheinlich. Auf jeden Fall waren bereits leere Bll. im Perg. teil für Nachträge vorgesehen. Nur in Bl. 1-17 (1. Hand) wurden die Verschnörkelungen der Initialien beschnitten, die übrigen Texte sind also wohl in den bereits gebundenen Cod. eingetragen worden. Die alte Foliierung erstreckt sich über die beiden ersten Teile.
Erwerb der Handschrift: Die gesamte Überlieferungsgeschichte liegt im dunkeln. Martin Bodmer erwarb das Ms. wahrsch. vor 1952.