Basel, Universitätsbibliothek, F IX 68
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Aus: swisscollections, 2024.

Handschriftentitel: Graduale OCist
Entstehungsort: [Hauterive?]
Entstehungszeit: um 1200
Beschreibstoff: Pergament
Umfang: 1 Band (105 Blätter)
Format: 24 x 15,5-16 cm
Seitennummerierung: Moderne Bleistiftfoliierung: A-C. 1-101. D. Alte Foliierung bzw. Zählung der Doppelseiten in Rot am linken Rand der Versoseiten: ii (3v) - lxxii (73v). lxxiii (75v) - xcvi (98v), von zwei Händen, die erste nur im ersten Quatern (ii-viii), vgl. Rubrizierung.
Lagenstruktur: Die Hs. besteht aus zwölf Viererlagen (Quaternionen), vier Zusatzblättern (Bl. 74 und 99-101) und einer Ergänzung (Bl. 1), nebst den Vorsatzblättern A-C und D: 52 + (VI-1)9 + 7 IV65 + (IV+1)74 + 3 IV98 + 4D, Bl. 1 auf der Versoseite des Vorsatzblatts C angeklebt, dieses in gleicher Weise an B, während das Papierbl. A als jüngster Bestandteil mit einem Pergamentfalz in den Spiegel geklebt wurde; Bl. 2 ist ein weiteres Einzelblatt, welches wie die übrigen nur noch sekundär eingebunden ist, siehe Einband; Bl. 74 Einzelblatt, mit einem über den Rücken der Lage geführten Pergamentstreifen an Bl. 66 geklebt; die letzte Lage (Bl. 99-101 und D) besteht ebenfalls aus zusammengeklebten Einzelblättern. Lagenzählungen: I (9v), II (17v), III (25v), VIII (65v), IX (73v), die erste in Rot, die übrigen schwarz und teils beschnitten.
Zustand: Pergament (bis auf Bl. A), an den Rändern teils sehr abgegriffen oder beschädigt, vor allem unten. Die äusseren Blätter der einzelnen Lagen z.T. verschmutzt (siehe etwa 33v und 34r oder 90v und 91r), möglicherweise wurde die Hs. längere Zeit in ungebundenem Zustand aufbewahrt. Die Blätter A-C, 1-8 sowie 98-101 und D mit Löchern und Rostflecken von den Metallbeschlägen des Einbands; ein weiterer Rostschaden im Falz der Blätter 49 u. 50. Pergamentiernähte in Bl. 60 u. 62. Risse in Bl. 15, 45, 80 und 88 mit ungefärbtem und grünem Garn genäht, die untere Ecke von Bl. 85 mit grünem Seidenfaden wiederangenäht. Ein Riss in Bl. 74 modern geflickt. Das Papierblatt A ohne Wasserzeichen.
Seiteneinrichtung: Keine Liniierung sichtbar, am Seitenrand jedoch Punktierungen für die Textzeilen erhalten, Schriftraum 18-18,5 x 11 cm, bis 28r 11 Zeilen mit Notenschema, danach nur noch 10.
Schrift und Hände: Frühgotische Minuskel von einer Hand, 2r-v (Ersatzblatt) von einer anderen, der Nachtrag 1r-v von einer dritten Hand. Marginalien von der Hand des (Haupt-) Schreibers: Initien von Kollekte, Evangelium und Epistel, Überschriften und Initialen in Rot, ebenso die weiteren liturgischen Anweisungen.
Musiknotationen: Frühe Quadratnotation (französisch, à petits carrés liés) auf vier schwarzen Linien, 2r /v und 74r /v mit seitlicher Begrenzung, 37v-73r der ganze Schriftraum schwarz eingerahmt.
Buchschmuck:
  • Rubrizierungen: Rubriziert: rote Überschriften (Vorgabe sichtbar am Rand von 8r) und Dehnungsstriche in den Melismen, Hervorhebungen durch rote Streichung, rote Strichelung, Händewechsel nach dem ersten Quatern.
  • Initialen: Rote Majuskeln und einzeilige Silhouetteninitialen (Vorgabe sichtbar 7v), 41r eine einzelne blaue, mit Punktverdickungen und Konturbegleitstrichen, teils mit ornamentalen Schaftaussparungen; 4v, 26v, 44v, 61r und 71v am Schaft ein charakteristischer, muschelartiger Besatz: die Konturlinie nach links ausgebuchtet, in der mehr als halbrunden Fläche eine horizontale Schraffur; in den Binnenfeldern bisweilen doppelt geschwungene Hörner mit spitzen oder kugeligen Enden (so auch 44v und 71v). 2r eine dreizeilige, rot-schwarz ornamental gespaltene Initiale mit innen schwarzem, aussen rotem Palmettenfleuronné, 2v einzeilig, rot mit rotem Palmettenfleuronné, beide nachträglich. 56r (Ostern) eine zweizeilige, rot-blau ornamental gespaltene Initiale, möglicherweise ebenfalls nachträglich.
Spätere Ergänzungen: 3r eine Korrektur auf Rasur, Rasuren sonst meist zur Vereinfachung der Notation, z.B. 39r, 99r eine über 5 Zeilen reichende Rasur, nicht neu beschrieben. Das Formular zu Trinitas 73v-74v stammt wahrscheinlich von der Hand desselben Schreibers wie der Text davor und danach, ist jedoch ein Nachtrag, die unterste Zeile mit dem Anfang auf 73v kaum auf Rasur, jedoch eindeutig nicht in demselben Zug geschrieben wie das Vorausgehende; der grösste Teil steht bezeichnenderweise auf einem Zusatzblatt, zudem findet sich derselbe Text nochmals am Ende. Eine zeitgenössische Ergänzung der Notation am Rand auf 2v. Am unteren Rand von 3v-4r eine über die ganze Doppelseite reichende zusätzliche Zeile, 44v zwei Zeilen (das Einfügezeichen auf 45r) mit einer weiteren Textkorrektur auf einem weissen Papierstreifen, jeweils Text und Notation, nach 1618, vgl. Ladner, S. 133. In dem Briefentwurf auf Ar geht es um den Absatz von Taschen (borses), aus Seide gewobenen und aus Leder (?) gefertigten, wobei für die künftige Produktion von letzteren eine suer Ysabel Thomasete und ihre Mitarbeiterinnen empfohlen werden.
Einband: Mit hellem Leder bezogene Holzdeckel, die Kanten abgerundet, 14. od. 15. Jh. Streicheisenlinien: zwei diagonale Doppellinien, die horizontale Ergänzung zum Stern vorne dreifach, hinten wiederum doppelt. Je fünf grosse Eisenbuckel auf dem Vorder- und Rückdeckel, in den Ecken und in der Mitte (Quincunx). Ehemals drei nach hinten greifende Langriemenschliessen, Reste der Lederriemen sowie der Dorn der mittleren, kürzeren, wohl jüngeren, mit zwei Nägeln befestigten Schliesse erhalten; der obere und der untere Riemen waren vorne den Rostspuren nach ehemals mit je einem Nagel mit rundem, buckligem Kopf (1,5 cm) befestigt, hinten Spuren und die Löcher der Dorne. Alte Reparatur des vollständig gerissenen Leders am Gelenk des Vorderdeckels durch Naht, mit angenäht auch die Einzelblätter vorne in der Hs.; die urspr. Bindung jedoch intakt. Hingegen sind die unteren zwei der vier Doppelbünde hinten gebrochen und nicht mehr mit dem Rückdeckel verbunden. Auf dem Vorderdeckel zwei Papieretiketten, eine kleine achteckige, mehrfach blau gerahmte mit der handschriftl. Signatur "M. 27", offenbar weder aus der Magerau noch aus dem Historischen Museum Basel; die grössere, rot gerahmte mit der maschinenschriftl. Signatur der UB Basel.
Zusatzmaterial: Beilagen: 1. Schreibmaschinennotiz von Max Burckhardt, 10. Mai 1946; 2. Pergamentfragment; 3. ein Stück Hanfschnur.
Hauptsprache: Lateinisch
Inhaltsangabe:
  • [Ar] Entwürfe für einen französischen Brief. Siehe Zusätze
  • Av Notizen. Siehe Geschichte
  • Br Leer.
  • Bv Federproben.
  • Cr-v Urkundenfragment (rechte Hälfte). Text auf der Versoseite, vgl. unten (Bl. D).
  • 1r-v Dedicatio ecclesiae. Terribilis est locus iste …–… Domus mea domus oracionis et pulsanti aperietur alle[luia]. Offertorium, Communio. Cantus ID Nr. 007763, 007458, g01402, g01402a, 602554a, g01406 und 006527.
  • 2r-98r Proprium de tempore. >Dominica i adventus domini< Ad te levavi animam meam >V[ersiculus]< Vias tuas >R[esponsorium]< Universi qui te expectant [2v Dominica ii:] Populus Syon …–… [97r ] >Dominica xxiii<. Dicit dominus >Communio< Amen dico vobis quicquid orantes petitis credite quia accipietis et fiet. Aufbau der Formulare: Introitus und Graduale resp. Responsorium (je mit Psalmvers), Alleluia resp. Tractus (mit Versikel), sowie Offertorium und Communio. Am Rand bisweilen die Initien von Kollekte, Evangelium und Epistel, teils mit liturgischen Anweisungen, siehe auch Ausstattung. Das erste Blatt (2r-v) ist eine alte Ergänzung, ein Ersatzblatt; Trinitas (Sonntag nach Pfingsten) im Text an der entspr. Stelle (73v-74v) bereits enthalten, grösstenteils auf einem Zusatzblatt.
  • 98r-99r In sacnta trinitate >Dominica prima post pentecosten< Benedicta sit vobis sancta trinitas >Psalmus<. Benedicamus >Responsorium<. Benedictus es domine …–… >Communio<. Benedicimus deum celi quia fecit nobiscum misericordiam suam. Cantus ID Nr. 001708, 006239, 006239a, g01118, 007976, g01120 und g01121.
  • 99r-100r In ascensione domini. >In ascensione domini ad processionem< Viri Galilei quid ammiramini …–… [99v ] >Antiphona<. O rex glorie sed mitte promissum patris in nos spiritum veritatis alleluia. Cantus ID Nr. 007904, 007904a, 007360, 004242 und 004079.
  • 100r-101r In purificatione BMV. >In purificatione sancte Marie, vum candele accenduntur, versiculus< Lumen ad revelacionem gencium >Ad processionem<. Ave gratia plena dei genitrix …–… [100v ] >Versiculus<. Hodie et dixit: Nunc dimittis. Cantus ID Nr. 003645, 601518, 601518a, 007745f, 909000, sowie Nr. 200456, 006051, 008184 und 003089.
  • 101v Notizen und Federproben. Siehe auch Besitzgeschichte.
  • Dr-v Urkundenfragment (linke Hälfte). Text auf der Rectoseite: Aussteller ist Abt "Nicholaus" von Hauterive, datiert November 137[?], siehe Helvetia sacra, Bd. 3/1, S. 211 zu Nicolas de Bertigny, Abt seit Ende Oktober 1370.
Entstehung der Handschrift: Die Hs. stammt zweifellos aus dem Skriptorium der Zisterzienserabtei Altenryf (Hauterive) bei Freiburg i.Ü., vgl. etwa Ms 10 im Freiburger Franziskanerkloster oder L 5 und L 158 in der KUB (BCU). Aufschlussreich für die Datierung sind, neben dem Buchschmuck, die beiden weitgehend identischen Textpartien zu Trinitas, 73v-74v, grösstenteils auf einem Zusatzblatt, sowie am Ende 98r-99r; das Fest wurde zuerst 1175 eingeführt, vgl. Ladner, S. 132.
Provenienz der Handschrift: Der Band gelangte vielleicht kurz nach 1261 (Ladner, S. 135) in die Magerau (Maigrauge), wo er wohl lange blieb und noch im 17. Jh. à jour gebracht und benutzt wurde. Auf dem Papierblatt A ein wohl frühneuzeitlicher Eintrag: "magroya" (verso), darunter: Si vous aime Dieu si prie un ave a Maria pour moy S[oeur] Caterine Heilman", s. Ladner, S. 133 für einen Nachweis zu dieser Person. 101v ein eigentlicher, mittelalterlicher Besitzeintrag: Liber s[anct]e M[arie] de Augia de Frib[urgo]. Dass der Band in neuerer Zeit nicht mehr in Hauterive war, beweist auch der alte Einband bzw. dessen nicht grün überklebter Rücken.
Erwerb der Handschrift: Möglicherweise kam er 1906 als Geschenk in die UB Basel, auf Bl. C (recto) findet sich ein Akzessionsvermerk: 06,78; im Manuale von 1906 findet sich auf S. 78 ein "Psalterium (XIV. Jahrh.) mscr.", vielleicht wegen des Anfangs: "Ad te levavi ..." (Ps 24) als solches verzeichnet. Im vorderen Spiegel eingeklebt ein mit Schreibmaschine geschriebener Zettel mit Angaben zu Herkunft und Datierung: "Mitteilung von Herrn Prof. J. Handschin am 7. Dezember 1939."
Literatur:
  • Ladner, Pascal. - Ein Zisterzienser Graduale aus Hauterive in der Universitätsbibliothek Basel. In: Festschrift Hans Foerster, Freiburger Geschichtsblätter 52 (1963/64), S. 129-135.
  • Bruckner, Albert. - Scriptoria medii aevi Helvetica 11: Schreibschulen der Diözese Lausanne, Genf, 1967, S. 31, Taf. 26.
  • Jurot, Romain. - Catalogue des manuscrits médiévaux de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Fribourg. - Dietikon-Zürich, 2006, p. 20 (Hs. erwähnt im Kontext der Hss. aus Hauterive).
  • Holzer, Irene. - Liturgische Gesangbücher. In: Nanni, Matteo; Schärli, Caroline; Effelsberg, Florian (Hrsg.), Ein Kleid aus Noten. Mittelalterliche Basler Choralhandschriften als Bucheinbände. - Basel, 2014, S. 41-50 (Kurzbeschreibung der Hs. mit 2 Abb. auf S. 47).
  • Führer, Dörthe; Mangold, Mikkel. - Katalog der mittelalterlichen Handschriften des Franziskanerklosters Freiburg. - Basel, 2023, S. 35 (Einleitung) u. 83-87 (Beschreibung von Ms 10).
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