St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 560
Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 551-553, Nr. 166.
Manuscript title: Vitae sci. Galli, sci. Otmari, scae. Wiboradae
Place of origin: St. Gallen
Date of origin: 1072-1076
Catalogue number:
166
Extent:
544 pp.
Format: 25,7 x 18,5 cm
Page layout:
Schriftspiegel 16,5 x 13,5 cm, einspaltig zu 17 Zeilen.
Writing and hands: karolingische Minuskel, wohl von einem Schreiber
Decoration:
Titel u. Incipitseiten in Capitalis u. Uncialis mit Minium, golden schattiert, teilweise mit Initialen in Gold u. Minium. Ebensolche Initialen zu den Prologen u. Anfängen der Bücher der Viten, fortlaufende Zeilen in Capitalis u. Uncialis, golden schattiert u. in Rustica mit Tinte. Anfänge der Kapitel mit Minium-Majuskeln, golden schattiert, ebenso die gewöhnlichen Majuskeln der Satzanfänge.
Contents:
Inhalt u. Schmuck:
- p. 1-2 Verschiedenes (12./16. Jh.)
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p. 3-259
Vita sci. Galli, Buch I-II mit Vorrede
- (p. 3-6) Bifolium mit Widmung auf p. 6, sonst ursprünglich leer, Varia (12./13. Jh. vgl. Scarpatetti, Codices hagiographici)
-
(p. 8-259)
Vita sci. Galli, Buch I-II, mit Vorrede
- (p. 8) Titelseite: Prefatio abbatis Augensis cenobii de vita beati Galli confessoris Xpi.
- (p. 9) N(isi me sanctarum autoritas scripturarum), das Binnenmotiv entwächst unten u. oben an den Schäften, an einigen Abzweigungen bilden sich Umwindungen, an den Enden Blüten mit sichelförmigen Blättern, Sechsblättern u. Palmetten
- (p. 19) nach dem Explicit der Hymnus: O pater o patris proles
- (p. 19-23) Capitulatio I-XXXIII
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(p. 24-145)
Buch I
- (p. 24) Titelseite: I(n nomine Dni. nostri Ihu. Xpi. incipit vita beati Galli confessoris Xpi.)
- (p. 25) C(um preclara sanctissimi viri Columbani), im Bogen mehrfache unsymmetrische Knotung durch Lösen des inneren Bandes, daraus Abzweigung des Binnenmotivs mit Blüten, Fünf- u. Lanzettblättern
- (p. 145) Explicit prior liber de vita et transitu sci. Galli confessoris Xpi.
-
(p. 146-149)
Capitulatio I-XLV
- (p. 146) haec habentur in sequenti libello
-
(p. 150-259)
Buch II
- (p. 150) Incipit lib. II de miraculis quae post obitum s. Galli Dns. ob ipsius merita dignatus est declarare
- (p. 151) M(eritis beatissimi Galli), das Binnenmotiv entwächst unten an den Schäften u. steigt symmetrisch zur Mitte auf, wo es von blütenförmigen Schnallen zusammengefasst wird. Umwindungen bei Abzweigungen, Palmettblattenden
- (p. 260-261) leer
- (p. 262-306) Vita sci. Otmari mit Prolog u. Capitulatio
-
(p. 306-355)
Miracula sci. Otmari mit Prolog u. Capitulatio
- (p. 306) Item prefatio Ysonis de sequentibus miraculis. H(ucusque virtutes)
- (p. 308-309) Capitula sequentis libri I-XIII
- (p. 310) Relatio Ysonis coenobitae s. Galli de sublevatione corporis beati Otmari miraculisque sequentibus. C(um beati viri corpusculum), das äußere Band bildet einen offenen Knoten, aus dem inneren wachsen durch Auflösung die symmetrischen Ranken des Binnenmotivs
- (p. 355-356) (ohne Titel capitulatio) XIIII-XVIIII
- (p. 356-371) (Miracula sci. Otmari, Buch II). S(ci. patris nostri miracula hactenus), Schattierung in Blau u. Grün (nachträglich?)
- (p. 372-373) leer
-
(p. 374-544)
Vita u. Miracula scae. Wiboradae mit Prolog u. Capitulatio
- (p. 374) Titelseite zum Prolog der Vita: I(ncipit prologus Herimanni cenobitae sci. Galli de vita scae. Vuiboradae virginis atque martyris Xpi.), einzeilige Initiale als Bäumchen mit symmetrischer Krone
- (p. 375) S(olet plerumque modernis scriptoribus), die Binnenmotive zweigen in der Mitte des Buchstabenkörpers aus einer Umwindung ab
- (p. 378) Ad quod regimen tu venerabilis pater Uodalrice anno millesimo septuagesimo secundo incarnationis domini eius mira dispensatione vocatus cum bonae memoriae abbatis tui Nortperti tunc triginta et octo annis super ovile sci. Galli vigilantis […] .
- (p. 386-393) Capitula libri sequentis I-XLVIIII
- (p. 394) Titelseite: I(ncipit vita scae. Vuiboradae virginis atque martyris Xpi.), zweizeilige Initiale als Bäumchen
- (p. 395) B(eata virgo Vviborada ex Alamannorum), im oberen Bogen unsymmetrische Knotung durch das Lösen des inneren Bandes, die Binnenmotive entwachsen beiden in der Mitte von einer Schnalle zusammengehaltenen Bogenenden u. umwinden den Buchstabenkörper
- (p. 513-514) Capitula I-XV
- (p. 515) I(gitur post sepulturam), Initiale als Bäumchen
- (p. 544-546) ursprünglich leer, Sprüche u. Federproben (13.-15. Jh.).
Origin of the manuscript:
Laut Prolog der Vita scae. Wiboradae wurde diese (Vita II) während der Regierungszeit des im Jahr 1072 angetretenen Abtes Ulrich (1072-1076) in guter Erinnerung an Abt Nortpert (1034-1072) geschrieben, der 38 Jahre über die Schafherde des hl. Gallus wachte. Der dort p. 374 im Prolog genannte Verfasser Herimannus coenobita sci. Galli steht namentlich auch in der Widmung auf p. 6 am Anfang des Buches, wo es heißt: «Denke daran, Gallus, dass diese Zier des Buches Herimann in feierlichem Versprechen für Dich vollendet hat.» An der gräzisierenden Schreibweise des Namens Herimannus, in dem das R als Rho = P u. das M mit zwei Rücken an Rücken stehenden C geschrieben wird (wie man es auch bei der Zahl M[ille = 1000] sieht), ist nicht zu zweifeln (die Schreibweise HEPIXANNUS im Katalog von Scarpatetti daher falsch). Schrift u. Initialkunst der Hs. sind gegenüber Sang. 340 u. 341 (Nr. 164 u. 165) weiter entwickelt. Die nicht in allen Partien gleich fließende Schrift hat Züge der sog. Schrägovalen angenommen (Berschin 2005). Das Verhältnis von Schriftraum u. Initialen ist so ausgeglichen, dass wohl beides einer einzigen Persönlichkeit zuzuschreiben ist. Diese beruft sich mit den Goldinitialen deutlich auf die alte St. Galler Tradition, die dann um 1000 mit Barb. lat. 711 (Nr. 147) im ottonischen Zeitalter einen neuen Stil findet, dessen elementare Errungenschaften hier weiterleben. Die Sekundärelemente der Initialen in Sang. 560 wie Blüten u. Blattformen gehen auf den Barberinus zurück. Das Wachstum der Buchstabenkörper mit den Umwindungen der Ranken an den Zweigstellen des Stammes weist in der Entwicklung voraus in das 12. Jahrhundert. Diese Kontinuität der St. Galler Buchkunst bis hin zu Sang. 560 ist gewissermaßen eine Wiederholung dessen, was schon im 9. Jahrhundert geschah. Herimannus, den ich als Verfasser, Schreiber u. Illuminator betrachte u. ihn mit Tuotilo (um 850 - um 913) oder Notker Balbulus (um 840-912) vergleiche, konnte sich offenbar in verschiedenen Disziplinen bewegen. Vgl. Nr. 112, 127, 128.
Bibliography:
- Scherrer, S. 177f.
- Chroust, I. Abt., II. Bd., Liefg. XVI, Taf. 10.
- Merton, S. 81, Taf. LXXXVI.
- Bruckner III, S. 109, Taf. XLIV.
- Eva Irblich, Die Vitae sanctae Wiboradae. Ein Heiligenleben des 10. Jahrhunderts als Zeitbild (Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, Bd. 88), Friedrichshafen 1970, S. 13f.
- Walter Berschin, Das Verfasserproblem der Vita S. Wiboradae, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 16, 1972, S. 250-277.
- Walter Berschin, Vitae Sanctae Wiboradae. Die ältesten Lebensbeschreibungen der hl. Wiborada. Edition und Übersetzung (Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte Bd. 51), St. Gallen 1983, S. 20-24.
- Duft, Abtei St. Gallen II, S. 179f., 283f., Abb. 6-8.
- CMD-CH III, Nr. 858, S. 295, Abb. 773.
- Schmuki, in: Cimelia Sangallensia, Nr. 63.
- von Euw, in: Kloster St. Gallen, S. 203f., Abb. 100.
- von Scarpatetti, Codices hagiographici, S. 41-44.
- Berschin, Eremus und Insula (2005), S. 21, 82, 105.