Utopia, armarium codicum bibliophilorum / Cod. 107 – Psalter with calendar, litany, and Office… / f. N1v |
Leuchtendes Mittelalter, Neue Folge IV, 32 illuminierte Manuskripte aus Frankreich vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, beschrieben von Eberhard König, Ina Nettekoven und Heribert Tenschert, Ramsen Antiquariat Heribert Tenschert 2007, S. 93-100.
Die Aufteilung der Seite in zwei Spalten ist altertümlich, kommt aber in ein paar hervorragenden Stundenbüchern des frühen 15. Jahrhunderts noch vor, so in den Belles Heures des Herzogs von Berry (New York, Cloisters) und im Stundenbuch des Königs René (London, BL, Egerton 1070).
Die Ranken gehören zu einer Familie von Dornblattschmuck, der den neuen Entwicklungen in Paris vorausgeht, wie sie sich in mehreren Handschriften aus den Jahren 1408/09 fassen lassen: Anders als in den Belles Heures der Brüder Limburg erreicht das Dornblatt keine teppichhafte Flächigkeit; der Akanthus, der sich auf fol. 7, 23 und 91 ankündigt, gehört nicht zu dem, was man 1408 im Stundenbuch Douce 144 der Bodleian Library vorfindet.
Die Bildränder sind recht fortschrittlich mit ihrem einfachen Doppelstab; sie verbinden sich mit den Grundfeldern der vierzeiligen Initialen, die ihrerseits wiederum in die Zierleisten münden, die durchweg schlank ausfallen. In die Zeit um 1400 fügt sich der Umstand, daß das Blattwerk der Ranken noch vorwiegend aus farbigen Wein- oder Efeublättern besteht, die aus farbig gefüllten Spiralranken sprießen (vgl. hier Nr. 9).
Zu den Psalterteilungen Bilder, die in einer alten Tradition der Psalterillustration stehen - man vergleiche die leicht abweichende Folge in unserer Bibel Nr. 1, Bd. I, ab fol. 289: David als Harfner (fol. 7); David weist auf seine Augen (fol. 23); David mit Gott (fol. 33v); Der Narr und Gott (fol. 44); David im Wasser mit Gott (fol. 54); David am Glockenspiel (fol. 67); Chorgesang (fol. 78v); Gottvater und David auf einem gemeinsamen Thron (fol. 91v[91r]).
fol. 131: Totendienst um einen unter dem Katafalk aufgebahrten Verstorbenen mit Pleurants rechts vorn und einer Gruppe von singenden Klerikern links hinter dem von Kerzen umstandenen Katafalk.
Die Szenen spielen vor Mustergründen oder hoch poliertem Blattgold. Auf Innenräume ist durchweg auch dort verzichtet, wo beispielsweise der Chorgesang (fol. 78v) oder der Totendienst um den aufgebahrten Leichnam geschildert wird. In der Art der frühen Landschaften, wie sie auch von den Brüdern Limburg gemalt werden, dient malerisch angelegtes grünes Gelände als Boden. Die Figuren sind, wie in der Pariser Buchmalerei um 1400 nicht anders zu erwarten, wohl nicht durchweg von ein und derselben Hand ausgeführt. Faszinierend ist beispielsweise der gleichsam in seinem Wahn tanzende Narr, dessen Leib mit gekonnten Strichen vortrefflich herausgearbeitet ist. Bei den Gesichtern herrschen ganz unterschiedliche Farbtöne: Neben mit Grau vorsichtig modellierten Köpfen finden sich solche, die eher in Braun- und Rottönen angelegt sind.
Die außerordentliche Eleganz einiger Gestalten läßt keinen Zweifel daran, daß der hohe Aufwand an brillant verarbeitetem Gold mit einem Auftrag an ein prominentes Atelier einhergeht. Man könnte an die geradezu chamäleonhafte Arbeitsweise des Malers denken, den man wegen seines Einsatzes in Berrys Grandes Heures, latin 919 der Pariser BnF, seit Millard Meiss als Pseudo-Jacquemart kennt: Die Berry-Handschrift ist einem Inventar zufolge von Jacquemart des Hesdins ausgemalt worden; doch sind offenbar alle Arbeiten des Meisters aus dem Buch verschwunden; was übrig blieb, ist von einer Persönlichkeit geprägt, die stark zeichnerisch vorgeht und dabei Vorbilder aus der voraufgehenden Buchmalerei, beispielsweise vom Meister des Paraments von Narbonne verarbeitet. Durrieu hielt die Miniaturen noch für Werke Jacquemarts; Meiss korrigierte dessen Sicht; Avril hat ein interessantes Stundenbuch, Ms. 4 der Stadtbibliothek in Quimper entdeckt, das in der Tat auch engere Bezüge zu unserem Codex aufweist. Hier wären zumindest die Narren-Miniatur fol. 44 und das Totendienstbild fol. 131 dieser Hand zuzuordnen.
Die meisten Miniaturen in diesem Psalter erstaunen aber durch die Mischung aus Malerischem und zeichnerischer Präzision, wobei die im 14. Jahrhundert übliche farbliche Beschränkung durchbrochen wird. Hier geht es um den Triumph der Buntfarben, die dann von Illuminatoren wie dem Mazarine-Meister weiterentwickelt werden.
Erst kürzlich zeigte sich, wie schwer es ist, mit dem Erbe der Forschungen von Millard Meiss umzugehen: François Avril verzichtete bei seinem Kommentar zum Jagdbuch aus der Sammlung Clara Peck, heute M. 1044 der Pierpont Morgan Library in New York auf eine präzise Zuschreibung der wichtigsten Stiltendenz. Sie könnte auf den Meister zurückgehen, den Millard Meiss selbst von den ältesten Miniaturen in dem später bei Fouquet ausgemalten Josephus, fr. 247 der BnF, definiert und dann doch nur unscharf umrissen hatte. Für ihn ist die gertenschlanke Figur, die beweglich und plastisch zugleich wirkt, charakteristisch; in seinen Köpfen, die meist etwas größer angelegt sind als in unserem Codex, scheint viel Verwandtschaft zu stecken. Gerade der Unterschied in den Inkarnaten rückt den Psalter, um den es hier geht, ins Œuvre von Werkstatt und Hand des Pariser Josephus-Meisters um 1400!